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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung IV
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Goodman, Alfred: Kunst und Wissenschaft des Gesanges
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0517

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Guttmann, Kunst und Wissenschaft des Gesanges

511

Alfred Guttmann:
Kunst und Wissenschaft des Gesanges
Wer ein Grenzgebiet zwischen Kunst und Wissenschaft behandeln will,
muß — falls er nicht ein größeres Werk darüber verfaßt — aus der Zahl
der oft heterogenen Einzeldisziplinen, die in Betracht kommen, eine Aus-
wahl treffen, um an einem Einzelproblem des Gesamtgebietes zu zeigen,
wie man die Fragestellung einrichten soll, welche Elemente zur Beant-
wortung herangezogen werden können, welche herangezogen werden
müssen, kurz, die Beschränkung der Beweisführung ist die Hauptsache. Hier
will ich also alles übergehen, was die physikalisch-akustische Grundlegung,
den anatomisch-physiologischen (resp. neurologischen und pathologischen)
Aufbau angeht, ich werde auch gesangspädagogische Fragen nicht erörtern
und allgemeine ästhetische Erwägungen über den Sinn der gesanglichen
Ausdruckstätigkeit ebenso vermeiden wie eingehendere entwicklungs-
geschichtliche und experimentell-psychologische Darlegungen — obwohl
eigentlich alle diese und noch mehrere andere, besonders musikhistorische
Gesichtspunkte von größter Wichtigkeit für unser Thema sind und auch
gelegentlich herangezogen werden müssen.
Bei der eigenartigen Zusammensetzung der Teilnehmer unseres Kon-
gresses und in Rücksicht auf die Anwesenheit vieler Nichtmusiker schien
es mir ratsam, eine Teilfrage zu erörtern, die unsereinem so oft als Frage-
stellung des musikverständigen und interessierten Laien entgegentritt. Diese
stereotype Frage lautet: „Singt Herr Meyer (oder Fräulein Lehmann)
eigentlich gut?“ — Diese Frage setzt die Annahme voraus, der Kenner habe
einen genauen Maßstab für die Qualität des Gesanges eines ausübenden
Künstlers (oder Dilettanten), könne also mit irgend einem bekannten, auf
seine Richtigkeit hin nachprüfbaren Maßstab das messen, was die Kunst
des Singens ausmache. Und ein zweites Problem wird sich zwanglos der
Erörterung dieser Fragestellung anschließen, nämlich: „Gibt die Wissen-
schaft eine Handhabe, zu sagen, was Gesangskunst ist?“
Die Frage nach der Qualität einer gesanglichen Leistung basiert auf
der Annahme eines annähernd allgemeingültigen Begriffs einmal der Schön-
heit der Stimme (als des Rohmaterials) und zweitens der Gesangstechnik
des Singenden (worunter die Vereinigung der Einzeltechniken des Atmens,
des Sprechens, der Vortragsart nach der stilistischen wie empfindungs-
mäßigen Richtung usw. verstanden sei). Dies scheint deutlich trennbar,
ist es aber nur begrifflich. Es gibt allerdings begnadete Personen, deren
Stimmen von Natur so wohllautend sind, daß sie, falls sie noch dazu
musikalisch begabt und akustisch-motorisch veranlagt sind, ohne weiteres
 
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