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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Lasson, Adolf: Der Wertbegriff in der Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0158

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152

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

Adolf Lasson:
Der Wertbegriff in der Ästhetik
Wenn man sich mit Anderen verständigen will, die über den Gegenstand
der Verhandlung aller Vermutung nach ganz andere Meinungen hegen, so
ist es geraten, zu sehen, wie man so schnell wie möglich auf gemeinsamen
Boden kommt. Das geschieht am besten, indem man sich auf die Erfahrung
beruft. Denn in den Erfahrungen, die die Menschen machen, läßt sich viel
eher bei verschiedenen Menschen das Gemeinsame herausstellen, als bei
den Deutungen, die sie den Erfahrungen zuteil werden lassen.
Nun ist das Ästhetische als Gegenstand der Verhandlung schon an und
für sich ein schwer festzustellender Begriff. In einen Streit darüber einzu-
treten, ist mißlich; die Debatte würde endlos und aussichtslos sein. Gleich-
wohl darf man annehmen: ein Kunstwerk wird jedermann für einen
ästhetischen Gegenstand halten, d. h. für einen Gegenstand, bei dem, mag
er auch sonst beschaffen sein, wie er will, den ästhetischen Gesichtspunkt
der Betrachtung zur Anwendung zu bringen berechtigt und geboten ist.
1. Wir befragen also unsere Erfahrung darüber, worin bei einem Kunst-
werk der ästhetische Gesichtspunkt der Betrachtung wohl am ehesten zur
Erscheinung kommen mag. Vielleicht daß uns das zu einem gesicherten
Ausgangspunkt für die Verhandlung verhelfen kann. Denn diese Erfahrung
hat jeder gemacht, der hier in Betracht kommt, und in den erfahrenen Tat-
sachen kann am ehesten etwas stecken, was alle gemeinsam bestätigen.
Also ich trete vor ein Gemälde, ein plastisches Kunstwerk; es kann
auch das neue Rathaus, das vielbewunderte Opernhaus oder sonst ein
monumentales Gebäude sein. Es stehen schon einige andere Menschen
da, reife Menschen, denen man ein Verständnis, ein Urteil zutraut, — sagen
wir Kenner, Kunsterfahrene, denn um beliebige Unkundige, Leute aus dem
Volk, junge Mädchen oder naive Jünglinge kümmern wir uns in dieser
Frage nicht, sondern nur um solche, von denen man annehmen darf, daß
sie ein Kunstwerk auf sich wirken lassen, wie man es auf sich wirken lassen
soll, und daß sie überhaupt dem Kunstwerk gegenüber den rechten Stand-
punkt einnehmen, der allein die gemachte Erfahrung zu einer wertvollen zu
erheben vermag. Was treiben sie also, und wie verhalten sie sich? Es ist
ein eindrucksvolles Kunstwerk, kein gleichgültiges Ding, dem sie gegenüber-
stehen. Sie werden also in Rufe des Entzückens, des Erstaunens aus-
brechen? Sie fuchteln mit den Armen, erheben ein Geschrei: herrlich,
himmlischI? Ganz im Gegenteil. Sie sehen scharf hin, betrachten von
allen Seiten, vergleichen die Einzelheiten, suchen die Unterschiede und
Übereinstimmungen, die Einheit des Ganzen und seine Gliederung zu
 
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