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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Erste Allgemeine Sitzung
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Ziehen, Theodor: Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0079

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Ziehen, Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen Ästhetik 73

Theodor Ziehen:
Über den gegenwärtigen Stand der experimentellen
Ästhetik ’)
Die experimentelle Ästhetik untersucht die ästhetischen Objekte und
Wirkungen systematisch unter künstlich vereinfachten, konstanten, jederzeit
in derselben Weise wiederherstellbaren Bedingungen. Die methodischen
Schwierigkeiten — Abgrenzung, Isolierung, Maß des Ästhetischen, Kompli-
ziertheit der subjektiven Bedingungen — lassen sich überwinden. Praktisch
ist jederzeit die sogenannte objektive mit der subjektiven Methode zu ver-
binden. Historische, ethnologische und entwicklungsgeschichtliche Aus-
dehnung des Experiments ist unerläßlich. Unter den Wahlmethoden ist vor
allem die Methode der „paarweisen Vergleichung“ empfehlenswert. Die
Methode der „absoluten Prädikate“ liefert nur bei sehr vorsichtiger Anwen-
dung zuverlässige Ergebnisse. Die sogenannten Herstellungsmethoden
können auch zur Aufklärung der künstlerischen Produktion entfernt vielleicht
etwas beitragen. Das subjektive Untersuchungsverfahren besteht namentlich
in der phänomenologischen Beschreibung des ästhetischen Eindrucks und
in der Ermittelung der ihn begleitenden bewußten und latenten Vorstellun-
gen. Die Anwendung aller experimentellen Methoden findet eine Grenze
an denjenigen Künsten, bei welchen das Ästhetische ganz oder sehr über-
wiegend im Vorstellungs inhalt liegt und die ausgelösten Empfindun-
gen eine geringere Rolle spielen, wie z. B. in der Poesie, namentlich in der
Kunstprosa. Hier scheinen, wenigstens zurzeit, nur „subexperimentelle“
Untersuchungen, d. h. analytische Feststellungen der ästhetischen Wirkungen
von Kunstwerken (statt von künstlich vereinfachten ästhetischen Objekten)
Aussicht auf Erfolg zu versprechen. Auch ist unverkennbar, daß überhaupt
Ergebnisse der experimentellen Ästhetik bis jetzt ganz vorzugsweise im
Bereich der Ästhetik der Empfindungen zu verzeichnen sind. Deshalb
behält die experimentelle Ästhetik doch eine erhebliche Bedeutung auch für
die Gesamtästhetik. Die ältere deduktive Ästhetik, die Ästhetik von oben herab
hat versagt. Jedenfalls ist die empirische Ästhetik, die Ästhetik von unten,
schon erheblich höher mit ihren Ergebnissen hinaufgestiegen, als jene von
oben herunter. Dabei kommt freilich einstweilen wohl der nicht-experimen-
tellen empirischen Ästhetik, der empirischen Analyse der gegebenen Kunst-
werke und Naturschönheiten ein größeres Verdienst zu. Es ist auch wahr-
scheinlich, daß die nicht-experimentelle empirische Ästhetik auch ferner

*) Kurzer Auszug (ausführliche Veröffentlichung ist in der Zeitschr. für
Ästhetik u. allg. Kunstwissensch. Bd. IX, Jan. Ι9Ί4, S. 16—46, erfolgt).
 
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