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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung II
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Schmarsow, August: Raumgestaltung als Wesen der architektonischen Schöpfung
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0252

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246

Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft

8. Oktober, 10 Uhr vormittags
Verhandlungsleiter: Herr O. Wulff, später Herr Behrens
August Schmarsow:
Raumgestaltung als Wesen der architektonischen
Schöpfung 0
Wir halten uns frei von der Ausschließlichkeit, die ein Kunstwerk nur
insoweit als solches anerkennen will, wie es nach den Forderungen des
Auges geordnet sei. Der ganze Organismus muß als mitwirkend anerkannt
werden. Von solcher Überzeugung aus soll die architektonische Raum-
gestaltung in ihren Grundlagen untersucht werden. Die Raumform bleibt
also zunächst in engstem Zusammenhang mit ihrem Urheber und seinem
eigentümlichen Körperbau. Die Triebfeder zum Eingreifen in die Umgebung
liegt in der Möglichkeit freier Ortsveränderung. Aus dem angedeuteten
naturnotwendigen Zusammenhang zwischen dem Menschen und seinem
Raumgebilde ergibt sich, daß wir für die theoretische Grundlegung berechtigt
sind, bei der Entstehung der architektonischen Umschließung drei Bestand-
teile zu sondern, die freilich stets ineinandergreifen: den Tastraum, den
G e h r a u m und den S e h r a u m. Die erste und die letzte dieser
Bezeichnungen gründen sich auf zwei anerkannt verschiedene Sinnes-
regionen. Die mittlere, der Gehraum, muß seinen Namen von einer anderen
Beziehung erborgen, die geeignet ist, kenntlich zu machen, daß hier die
natürliche Vermittlung zu suchen ist, die sich im Tastraum anbahnt, sowie
das jede Hantierung überwachende abtastende Sehen des Augenpaares
hinzutritt, um dann im Vorwärtsschreiten erst die entscheidende Wendung
zu nehmen, während andererseits nur der zeitweilige Verzicht auf die Orts-
bewegung die ausschließliche Vorherrschaft der optischen Eindrücke zur
Geltung bringen kann. Mit der Anordnung der drei Faktoren ist der psycho-
physischen Aufgabe und der ästhetischen Untersuchung der Weg gewiesen.
Zweitens aber ist durch den Nachweis der grundlegenden Bedeutung des
Gehraums beim Wachstum zur bleibenden Wohnung das Vorrecht dieser
Entwicklungsreihe begründet. Und heutzutage darf angesichts des ethno-
*) Der Vortrag wurde infolge unerwarteter Behinderung des Herrn Schmarsow
nicht gehalten und an Stelle desselben der nachfolgende des Herrn Behrens
eingesetzt. Er ist inzwischen bereits in der für den Kongreß bestimmten Fassung
in der Zeitschrift für Ästhetik und Kunstwissenschaft 1914, I, S. 66—95 als
Aufsatz erschienen, dessen Inhalt hier von der Redaktion kurz zusammengefaßt
worden ist.
 
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