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Kongreß für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
Bericht — 1914

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Abteilung I
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Alexander, Bernát: Über künstlerische Intuition
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https://doi.org/10.11588/diglit.65508#0155

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Alexander, Über künstlerische Intuition

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ja, für unseren Zweck von ausschlaggebender Bedeutung ist. Diese Er-
scheinung ist der Takt. Unter Takt versteht man eben das blitzschnelle
Erfassen einer Situation (Personen, Sachlage usw.), das Erkennen dessen,
worauf es dabei ankommt, das Einheitliche, Zusammengefaßte dieser
Erkenntnis, zu der wir das größte Vertrauen hegen, kurz, genau das, was
wir intuitive Erkenntnis nennen, zugleich aber auch eine ebenso schnelle,
gänzlich mühelos scheinende Anpassung an jene Situation (Sach-
lage usw.), die Umsetzung der Erkenntnis in eine Reihe von
Handlungen, welche jener intuitiven Erkenntnis genau entsprechen.
Die Richtigkeit der Erkenntnis wird nicht bewiesen, die Angemessenheit der
Handlungen nicht begründet. Takt ist intuitives Handeln oder auf
intuitive Erkenntnis gegründetes Handeln. Wenn man sittlichenTakt
sagt, so meint man damit ein sittliches Handeln, das keiner bewußten, aus-
einandergelegten Überlegung bedarf, aber genau dasselbe Resultat ergibt,
nur ohne Zögern und Schwanken und Kämpfen, weil mit dem absoluten
Bewußtsein verbunden, recht zu tun; das ferner momentan zutage
tritt in sittlicher Tat oder sittlichem Urteil über Handlungen und
Situationen. Man könnte auch sagen: ein sittliches Handeln ohne
klares Bewußtsein seiner Beweggründe und Normen. Im allgemeinen
aber bezieht sich Takt auf die Sphäre des gesellschaftlichen Lebens
und wird als schönste Eigenschaft der Hausfrau, als reinste Blüte
des gesellschaftlichen Lebens gepriesen, da ohne Takt auch dieses
unmöglich wäre. Analysiert man nun das Gehaben der Hausfrau,
so lernt man die Intuition nicht als abstrakt herausgegriffenes Moment
des Seelenlebens kennen — eine Betrachtungsweise, die in der Psychologie
so viel Unheil gestiftet hat —, sondern in den natürlichen Zusammenhängen
des einheitlichen Seelenlebens. Die Hausfrau wird von dem Willen
beherrscht, daß z. B. ihre Gäste sich bei ihr wohl fühlen mögen. Fehlt dieser
Wille, dann tritt das Phänomen des Taktes überhaupt nicht in Erscheinung.
Aber sie will es. Sie hat nun gewiß nicht Zeit zum Überlegen, Wählen,
Prüfen, Schließen. Der Gast erscheint, sie muß ihn sofort empfangen,
genau wissen, was sie zu sagen, was sie zu verschweigen hat, welche Gesten,
Mienen usw. zu ihrer Anrede passen, das alles in souveräner Ruhe, Sicher-
heit, ohne Zögern, ohne Spur von Anstrengung oder vorhergehender
geistiger Arbeit. Sie muß sich mit dem Gast identifizieren können, sich in
ihn hineinleben, aus ihm heraus sprechen und handeln. Man sieht: Wille,
intuitive Einsicht und Handeln sind die drei Momente, die in Betracht
kommen. Eins greift ins Andere. Intuition weist den Weg, der Wille macht
geneigt, den Weg zu betreten, und die Handlung macht, daß er durchmessen
wird. Die Intuition selber wird durch den Willen in Bewegung gesetzt, der
dann in der Intuition die Direktive des Handelns findet. Das ist nun die
neue Seite, die wir an der Intuition erkennen; sie ist einesteils mit einer
Willenshaltung verbunden, welche den ganzen seelisch-leiblichen Organis-
mus zu bestimmtem Tun einstellt, und andererseits findet sie die Wege, auf
daß dieser intuitiven Einsicht gemäß gehandelt werde. Man sieht, wir
 
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