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288 Schluß

nach innerhalb der Retabelmalerei die großformatige
Pala, wie sie in Augsburg mit Burgkmairs >Madonna<
von 1509 (Nürnberg) oder Holbeins >Lebensbrunnen<
von 1519, sonst aber vornehmlich von Werken
Dürers vertreten ist.' Tafeln, die zwar die Ansprüche
an das illusionistische Bild erfüllen, aber zu Sequen-
zen geordnet sind, oder Bilder, die vor einem einheit-
lichen Fond Figuren oder Szenen reihen, erscheinen
demgegenüber als obsolet.

Holbein hat hauptsächlich diese Formen benutzt.
Die großen Retabel reihen hochformatige Einzel-
szenen zu einer in der Uberschau präsentierten Folge.
Die Szenen auf den Epitaphien sind durch eine
gemeinsame Hintergrundslandschaft verbunden,
wenn auch durch Rahmen getrennt. Der Sebastiansal-
tar weist dasselbe Prinzip für die Figuren auf den Flü-
geln und das Mittelbild auf, hier ist im Hintergrund
noch eine Nebenszene hinzugefügt. Dieses Verfahren,
Haupt- und Nebenszenen auf einem gemeinsamen,
wenn auch ausgedehnten Schauplatz im »Simultan-
bild« zu kombinieren und durch die Anordnung zu
gewichten sowie die Bilderzählung zu strukturieren,
prägt die >Paulsbasilika< in besonderem Maße. Die
Forschung hat für solche Erzählformen in Bildern und
Bildfolgen uneinheitliche Terminologien und Begrün-
dungen entwickelt, das braucht hier nicht im einzel-
nen dargelegt zu werden.4 Vielmehr interessiert, was
mit der Preisgabe solcher Präsentationsformen zugun-
sten des neuzeitlichen Bildes verloren ging, oder
umgekehrt, welche Erwartungen sich mit den älteren
Bildformen verbanden. Es geht dabei gleichermaßen
um Fragen der vom Maler oder vor allem vom Auf-
traggeber intendierten Rezeption, also um Funktions-
zusammenhänge des religiösen Bildes, wie um Fragen
der Produktion, also eines Verständnisses von Autor-
schaft.

Die Ordnung der Bilder und die Ordnung von Sze-
nen in Bildern hat in der Forschung im Rahmen von
Studien zur Narrativik immer wieder Aufmerksam-
keit gefunden.5 Dagegen sind Darstellungsverfahren
jenseits kompositioneller Prinzipien und die Motive
der Bilder selbst zwar beachtet, mit der Untersuchung
von Ordnungsprinzipien aber nicht verknüpft wor-
den. Die Einführung der monofokalen Perspektive,
ein luminoses Kolorit sowie im Motivischen eine Fülle
von Details, die die Darstellung mit der Lebenswirk-
lichkeit der Betrachter verbinden - Landschaft, Klei-
dung, Gebrauchsgegenstände -, all das also, was man

gemeinhin zu Verfahren realistischer Abbildung rech-
net, ist vielfach beobachtet und interpretiert worden.
Inwieweit der Realismus niederländischer und deut-
scher Bilder im 15. Jahrhundert Anzeichen für einen
Säkularisationsprozeß sei, ist differenziert und oft in
kritischer Auseinandersetzung mit Panofskys Konzept
vom »disguised symbolism« der Niederländer vorge-
tragen worden.6 Zwischen den Verfahren des Rea-
lismus im Bilde sind Widersprüche beobachtet wor-
den - z.B. bei der Wiedergabe von Kostüm und
Schauplatz sowohl ein Historisieren als auch eine
Aktualisierung, sowohl Nähe als auch Distanz. Diese
Widersprüche sind damit aufgelöst worden, daß ein
Bild dieser Art, obwohl »Wirklichkeitsausschnitt«,7
grundsätzlich zeichenhaft auf ein im Bild nicht Dar-
stellbares, auf heilsgeschichtliche Tatsachen, verweise.
Es war somit möglich, auch »realistische« Bilder in
die kirchliche Bilderlehre einzufügen, so wie sie seit
Gregor dem Großen fast unverändert bis in die Refor-
mationszeit und darüber hinaus feststeht und wieder-
holt wird.8 Brüche im Bild sind daher auch als vom
Maler bewußt eingesetzte Mittel gedeutet worden, die
Verwechslung von Bild und Realität im Sinne einer
Augentäuschung zu vermeiden.5 Dies könnte auf die
illusionshemmenden Faktoren in der Ordnung der
Bilder ebenfalls zutreffen.

Es ist also nötig, alle Gegebenheiten - Ordnung der
Bilder, Motive und Darstellungsverfahren - in die
Untersuchung einzubeziehen. Dies gilt auch für die
Überlegungen zur bildungs- und sozialgeschichtlichen
Einordnung der Kritik an den Bildern und der Bild-
zerstörung im Vorfeld und während der Reforma-
tion.10 Denn von Anfang an implizierte Gregors Dik-
tum vom Nutzen der Bilder in der Kirche eine
Differenz zwischen den Eliten des Klerus und den
Laien. Dabei ließen die drei Argumente für die Bilder -
Belehrung, Beförderung der Andacht und des Ge-
dächtnisses - Platz für den Verdacht, die große sinnli-
che Macht der Bilder rufe die Verwechslung zwischen
Darstellung und Dargestelltem hervor, verführe Unbe-
darfte zum Bilderkult. Auch hier ist danach zu fragen,
ob und in welcher Weise einer derartigen Verwechs-
lung von Zeichen und Bezeichneten, damit dem Schei-
tern der augustinischen Zeichenlehre, vorgebeugt
werden sollte.

Die Beantwortung solcher Fragen kann schwerlich
gelingen: Denn die Bildpraxis der Auftraggeber, der
Maler und der Benutzer - also all derer, die nach der
 
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