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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 3.1926

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Heft 8 (August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.47625#0385
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DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
Organ der Hamburger Bühne
3. Jahrgang Heft 8 August 1926

Die jüngste Generation
Von W alter Heinsius
Die jüngste Generation, die jungen Menschen also, die, nach
dem Jahrhundertanfang geboren, heute das zwanzigste Jahr
eben erreicht oder eben überschritten haben, diese Generation hat
zur Literatur ein zumindest sehr fragwürdiges Verhältnis. Der Her-
ausgeber der ,,Literarischen Welt“, dem in dieser Sache einige
Urteilsfähigkeit zugesprochen werden muß, meint geradezu: die
Jugend von heute boxe, spiele Fußball, wandere in Gottes freier
Natur und verachte die Bücher, Jedenfalls treibt sie Sport und
Gymnastik und gibt sich dem Kult des Körperlichen mit einer Aus-
schließlichkeit hin, wie sie seit langem ohne Beispiel ist, und jene
vielen Vereinigungen und Bünde, zu denen sie sich zusammen-
schließt, und in denen sie ihre Sehnsucht nach Gemeinschaft zu
erfüllen sucht, sind, bis hinab in die kommunistischen und völ-
kischen Stoßtrupps, geladen mit einer gefährlichen Bereitwilligkeit
zur Tat und zum unbedenklichen Handeln, die ihrer Mißachtung
der Worte und des Wissens durchaus entspricht. Gleichwohl aber
hat sich diese selbe Generation — und das erscheint auf den ersten
Augenblick paradox — bereits in einigen Büchern geäußert, die
nicht nur, die Jugend ihrer Verfasser in Betracht gezogen, außer-
ordentlich gekonnt sind, sondern die auch eine sehr starke und,
wie es scheint, nachhaltige Resonanz gefunden haben, obgleich —
und hier kompliziert sich das Problem noch einmal — obgleich alle
diese Bücher weit entfernt davon sind, die Tat und eine von Be-
denken unbeschwerte Lebenshaltung zu verherrlichen, vielmehr
ihr Reiz geradezu im Ausdruck einer tiefen Melancholie, einer
fast willenlosen Resignation und einer hilflosen Angst vor dem
gewaltigen und gewaltsamen Leben liegt.
„Mir scheint die Ratlosigkeit groß, mir scheint beinah' alles in
Frage gestellt. Wer von uns darf eigentlich sagen, daß er in Klar-
heit wo aus und wo ein wüßte? Aber am fragwürdigsten ist gewiß
alle Kunst geworden.“ Mit einem solchen Geständnis beginnt einer
jener jungen Künstler von heute, beginnt Klaus Mann sein
Schaffen, dessen bis jetzt vorliegende Äußerungen — ein Novellen-
band „Vor dem Leben“, ein Roman „Der fromme Tanz“ (Gebr.

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