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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 3.1926

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Heft 9 (September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.47625#0490
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Sie alle haben etwas von der Art der
ersten Seefahrer an sich, die aufs
Meer gingen, um Gewinn zu suchen
und dabei ihre Herzen auf den Händen
trugen. Dieses Buch hat mich von An-
fang bis zu Ende immer wieder über-
rascht. Ich bedachte, daß eine Frau
es schrieb, und fand doch in keiner
Zeile die Frau, sondern immer nur
einen Schöpfergeist, den ich bewun-
dern mußte. In dieser Sylter Welt
offenbart sich uns ein Menschentum
von einer Kernigkeit, wie wir es un-
serer Zeit wünschen. Da ist nirgends
Sentimentalität, nirgends haltlose
Tiftelei. Und die Darstellung bemüht
sich auch nicht in kleinlicher Malerei;
sie hat durchweg starke, unerhört
sichere Linien, sie ist tiefinnerst er-
füllt von ihrem Stoff, sie ist Dichtung
im tiefsten Sinne des Wortes.
Johannes Boldt
Leo Tolstoi; Die Rettung
wird kommen. Harder-Verlag, Ham-
burg.
In der großen Zahl der veröffent-
lichten Tolstoi-Briefe sind diese 30
kürzlich veröffentlichten zweifellos die

interessantesten, Tolstois Geisteswelt
ist nirgends klarer erkennbar als in
diesem Meinungsaustausch mit seinem
deutschen Freunde Eugen Heinrich
Schmitt. Interessant ist, wie der
Deutsche und der Russe einem Ziel
zustreben und, offenbar in steter
gegenseitiger Befruchtung, verschie-
dene Wege gehen, gehen müssen, aus
dem Urgesetz ihres nationalen Seins
heraus. Die russische Weite und
Genialität des Herzens, der Hang zur
Mystik auf der einen, deutsche Ver-
standesschärfe und metaphysische
Kraft und Tiefe auf der andern Seite.
Tolstois Lehre, sein leidenschaftliches
Fragen nach des Lebens Woher und
Wohin, das zerquälte Pfadsuchen des
Menschen zu Gott, sie bleiben immer
aktuell. Mag der Mensch zurzeit auch
ganz in den Banden des Materialismus
verstrickt sein, die Seele reißt sich doch
immer wieder los und pocht angstvoll
an das Geheimnistor an. Ernst
Keuchei, der Zusammensteller dieser
Briefsammlung, hat mit feiner Ein-
fühlung in das Wesen des deutschen
und russischen Denkers eine Ein-
leitung geschrieben, M. Sch. A,


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