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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 7.1930

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Nr. 1 (Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43618#0019
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DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
Siebenter Jahrgang
Erstes Heft Januar 1930

Wer führt den Reigen?
Von Ludwig Benninghoff
In das neue Jahr fällt die Gedächtnisfeier eines jener großen Le-
bendigen, die nicht vergehen, wenn auch ihr Leibliches seit vielen
Jahrhunderten zu Staub geworden ist.
Uns wird so Bestätigung des Glaubens an ein Leben über den
Tod hinaus. Die Kräfte des Menschen wirken geheimnisvoll weiter,
etwas von ihm, nennen wir es Substanz, Mythos, Geistleib west in
dieser Welt, wenn der Körper verwest ist. Der Ruhm, das Ziel der
naiven Metaphysik aller Diesseitigen, ist er nicht eine Versicherung,
eine Art mühsam erarbeitetes Kapital, mit dem man die Vorbedin-
gungen solchen Weiterlebens sich selbst zu garantieren trachtet?
Die Bildung! Wenn ich in Vergangenheit lebe, wenn Vergangenes
mir lebendig wird, so bestätige ich mir, daß es mit den Menschen
alter Zeiten nicht ganz aus ist. Wenn aber von ihnen etwas lebt,
dann ist auch unser Leben nicht völlig zu Ende mit dem Augenblick
des Sterbens, Es folgt nicht nur Wellenberg auf Wellental und sind
einander gleich und hat keins mit dem nächsten zu tun, sie ge-
horchen dumpf der Macht des Windes über ihnen, sondern wenn
Früheres nicht vergangen, dann ist Gegenwart auch Zukunft. W’ir
erhalten die Bestätigung eines instinktiven Glaubens, Eine Art an-
deren Unsterblichkeitsglaubens als den an den Himmel der Jen-
seitigkeit. Ebenso wie die räumliche Trennung der Höhe legen
wir die Dreiteilung der zeitlichen Trennung in Vergangenheit,
Gegenwart, Zukunft nieder. Über ihnen ist dann die wunderbare
Wirklichkeit, die zwar von Raum und Zeit bewegt wird, aber
in der es kein Vernichtetsein gibt. Diese Wirklichkeit alles Lebens
wird das unerschütterliche Grundgesetz, ihr gegenüber aber sind
Raum und Zeit Relativitäten,
Kommt das Bedürfnis der Bildung nicht aus diesem Glaubens-
trieb, aus diesem Optimismus an das Leben, so mag sie leer
laufen, ein klingendes Erz oder eine tönende Schelle. Jedenfalls
aber führt ihre grundsätzliche Negierung, wie sie heute töricht und
überheblich verkündet wird, zu einer überaus beschränkten, eitlen,
lebenfeindlichen Askese, jämmerlicher, unduldsamer, als je ein
Mönchstum war. Denn jenes trennte sich mit Mauern und Geboten

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