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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 7.1930

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Nr. 4 (April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43618#0236
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kraft, mit Dämonenfurcht, der primitivsten Form religiöser
Verursachung. Während der Astrologe das Weltall einerseits im
nüchternen Liniensystem klar und harmonisch erfaßt und die Stel-
lungen der Fixsterne und Planeten zur Erde und zueinander genau
und im voraus zu berechnen versteht, beseelt ihn vor seinen mathe-
matischen Tafeln doch eine atavistische abergläubische Scheu vor
diesen Sternnamen, mit denen er zwar wie mit Zahlzeichen umgeht,
und die doch eigentlich Dämonen sind, die er zu fürchten hat.”
In einer so definierten Astrologie wird also eine ursprüngliche
Einheit von Sternglaube und Sternkunde aufgewiesen, eine Einheit,
die schon am Beispiel des primitiven Menschen erhellt. Bestimmte
Sternbilder, die der sibirische Nomade oder der brasilianische
Indianer zum Zwecke praktischer Orientierung am Sternhimmel
zusammenfaßt, die durchaus nicht immer unseren europäischen
Sternbildern entsprechen, werden für den Primitiven, unmittelbar
im Orientierungsakte, zugleich zu Tieren aus seinem Lebenskreis,
zu Menschen und Dämonen aus seinen Märchen, die er an den
Himmel erhöht. Hierbei können das Gürteltier oder die Schlange,
die der Primitive in das ihn bedrängende Gewimmel von funkelnden
Sternen hineinsieht, ihm eine Erinnerungshilfe bedeuten und das
Wiederfinden eines bestimmten Sternbildes erleichtern. Zugleich
aber kann er gar nicht anders, als wirkende Wesen, Gleichnisse
seiner selbst, am Himmel schauen, so wie er auch den Wind, den
Regen und den Blitz verlebendigt. Dies aber, Beseelung der chao-
tisch andrängenden Welt, Glaube an freundliche und feindliche
Geister sowie die kultische Beziehung zu ihnen, ist Magie. Und
Magie — dies ist das Entscheidende — verbindet sich ursprünglich
untrennbar mit dem urmenschlichen Willen zur Ordnung und Orien-
tierung auf der Erde und am Himmel.
Die Einsicht, daß das vom Menschen gesetzte Sternbild eine
Doppelfunktion ausüben, sowohl mathematische Umfangsbestim-
mung wie „Bild”, das heißt mythische Gestalt und wirkender Dämon,
sein kann, erschließt Warburg das Wesen der Astrologie und
gibt ihm die Richtlinien zu einer Deutung ihrer geschichtlichen
Phänomene.
Der Historiker der Astrologie — und dies wurde Warburg in
enger Verbindung mit dem ihm befreundeten Franz Boll — sieht sich
vor die Aufgabe gestellt, den mannigfaltigen Traditionswegen nach-
zugehen, auf denen die Vorstellungen von den Sterndämonen aus
dem alten Orient, aus Babylon und Ägypten nach Griechenland und
Rom gelangen, auf denen sich diese selben Sterndämonen in spät-
antiker Zeit ins Innere Asiens und bis nach Indien ausbreiten, und
auf denen sie schließlich zurückwandem, von den Indern zu den
Persern und Arabern, die sie weitertragen ins mittelalterliche
Abendland, In den Praktiken der Sterndeuter, die jeden Tag und
jede Stunde des Jahres astralen Einflüssen unterstellen, in den An-

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