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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 7.1930

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Nr. 9 (September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43618#0548
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einer Gegenkraft aus dem Dunkel gegen die Leuchte des Tages.
Die beiden Lichtwesen, in den Raum gefühlt, geben die Gegensätze
von Nord und Süd, Die von Norden trachten nach dem Süden. Wie
unter den Sternen die Erde sich bewegt, gegen den Himmel auf-
bricht in den Flammen des Hekla im Norden, des Vesuv und Ätna
im Süden, wandern als lebendige Wesen über die Erde Traum und
Willen, Der Traum der Erde sind die Tiere, die Falken, die Adler,
Hirsche, Bären und Löwen, Sie, die in des Menschen Wesen sind
und auch seine Träume erfüllen in eines jeden Kindheit und in der
Kindheit der Völker, wie sie von den sinnenstarken und jugend-
lichen Völkern auf Wappen und Schilden gebildet werden. Der
Willen der Erde aber sind die Menschen, die nach dem Sternen-
gebot von Norden nach Süden ziehen. Und es geschieht, daß die
später Aufbrechenden auf die früheren treffen, die sich schon voll-
endet haben. Denn die Bewegung stößt in Kreis und Gegenkreis
aufeinander: Goten begegnen Griechen, Normannen Sarazenen,
Eine Aufnahmestellung aber zwischen Nordmeer und Bergwall
der Alpen staut die Bewegung, sammelt, verdichtet sie. Das ist
Deutschland, das „heilige Herz der Völker“. In Deutschlands Süden
wellt das sonnenfrohe Schwaben, Von Schwaben hat sich die ge-
staute Kraft aufgemacht in den herrlichen Gestalten der Staufer,
in diesen Kaisern und neuen Göttern, in dem Rotbart, in dem furcht-
baren und großartigen Heinrich und, bereits am Südmeer geboren,
in jenem Federigo secondo, dem sternennahen Menschen, der Nord
und Süd, Orient und Okzident in sich vereinigte. Von den großen
Griechen aus Schwaben kann man sprechen. Nach dem Ende der
Staufer aber, nach dem äußeren Ende des Reiches, tragen einige das
innere Reich weiter, es ist das geheime Reich der Deutschen ge-
worden, Und sie sind Dichter, diese großen Griechen aus Schwaben:
Schiller, Hölderlin und — Theodor Däubler,
Der Raum dieses geheimen Deutschland ist weltweit, man kann
sagen, die Welt erhält ihre Heimat in diesem Deutschland, Es um-
faßt das Menschenwunder der Griechheit, die kosmische Notwende
Christus und das Stemgeheimnis des Orient,
Unbewußtes Abbild seiner Wesenheit, herrlicher Nachgesang des
wirklichen Reiches steht vor uns in Michelangelos jüngstem Ge-
richt, Da ist der Weltenrichter aus Apollon und Christus zu einem
Wesen, zu dem nackten Gottmenschen verschmolzen. Sein Gericht
ist nicht jene Gerechtigkeit, die die Menschen verstehen, sondern
aus ihm kommt die Notwendigkeit der Dinge in der Notwendigkeit
des Zorns, und um seine Mitte kreisen die Leiber der Auffahrenden
und Verworfenen wie ein kosmisches Eimerwerk,
In unseren Tagen aber ist die Ganzheit dieses Wesens, nicht mit
dem Gedanken zu erfassen, licht wie ein Stern und schwer wie die
Massen der Erde noch einmal Wirklichkeit geworden in Werk und
Person Theodor Däubler,

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