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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 2 (Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0150
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formt sein begeistertes Urteil über die weibliche Jugend von heute: „Was ist
das für eine herrliche junge Rasse, diese Sekundanerinnen von heute. Sie
zieren sich nicht . . .". Aus einem hundemäßigen Triebleben sucht sich der
„Held" zu retten; es gelingt ihm aber nur die Flucht aus der Großstadt, d. h.
er unterliegt. „Welche Weisheit der Natur, diese Qual einmal zu beenden, die
wir Jugend nennen", meint er in einem Gespräch. Und wenn die Jugend zu
Ende ist? Wer erwartet danach Männer und Frauen? Es wäre natürlich
sinnlos, die Existenz des geschilderten Sumpfes zu leugnen, doch man sollte
ihm nicht die Ehre der Reportage antun.
Verlassen wir die Weltstadt Berlin und begeben uns in das europäische
Abgottsland Amerika. Werner Fabian erzählt uns einen Roman unter ameri-
kanischen Studentinnen „C o 11 e g e - G i r 1 s“ (Ullstein-Verlag). Sehr lebendig
wird hier die Welt der amerikanischen Halbjungfrauen, die trotz aller burschi-
kosen Haltung nur um die sexuelle Erfahrung mit dem Phänomen Mann herum-
taumeln und -flirten. Die Jugend Lindsays hat jungfräuliche Grenzerlebnisse
mit Auto und Wochenende, die von Revolution weiter entfernt sind, als sich
der aufgeklärte Richter aus Denver je träumen ließe. Lindsay bezeichnet mit
Revolution bekanntlich einen Zustand sittlichen Zerfalls und jugendlicher
Schwäche, den er nur als wertvolle Kraftäußerung ansieht, da er gegenüber
der Hohlheit und Verlogenheit der Erwachsenenwelt um etwas „vernünftiger"
erscheint. Revolution ist für Lindsay mithin so viel wie das kleinere Übel.
Im übrigen ist Fabians Buch ein vernichtender Schlag gegen das Frauen-
studium. Denn was diese mittelmäßigen, der Familie entlaufenen Flapper-Girls
mit der Wissenschaft zu tun haben, ist schlechterdings nicht einzusehen. Daß
dieses Buch nur amerikanische Verhältniss treffe, ist für den Deutschen in-
mitten einer amerikanisierten Sport-, Auto-, Bar- und Wochenend(ehe)-Jugend
ein schwacher Trost.
Um so ergreifender ist es, vom Kampf einer Jugend zu erfahren, die aus
starken, adeligen Gesetzen zu leben gewillt ist, die vereinsamt ein Bild zu
bewahren strebt, das geweiht ist von den Genien Hölderlins, Nietzsches und
Georges. Erich Ebermayer in seinem Roman „Kampf um Odilien-
b er g“ (Zsolnay-Verlag) führt uns in die Welt der Freien Schulgemeinde
Wickersdorf, in das Jugendreich Wynekens. Wie der vereinsamte Führer,
umgeben von einigen treuen Jungen, seine Schöpfung gegen den Einbruch des
amerikanischen Zivilisationsgeistes zu retten versucht, vermag zu erschüttern.
Hier schreibt ein Mensch natürlich und frisch, der selbst Anteil hat an dem
Geheimniszustand der Jugend. Ob dieser Zustand wahrer Jugend unter den
obwaltenden rationalen Zersetzungstendenzen nicht nur bewahrt, sondern in
gemäße Lebensformen wachsen kann, ist die große Frage an unsere Zeit, Die
Antwort bleibt stets und immer das Leben der Erwachsenen.
Rudolf Ibel

Gertrud von le Fort: Der Papst im Ghetto, Transmare-Verlag,
Berlin.
Gertrud von le Fort erzählt die Geschichte des Papstes Anaclet II. aus dem
jüdischen Bankiergeschlecht Pier Leone, des Papstes, unter dem die Einheit
der katholischen Kirche im 11. Jahrhundert zum ersten Schisma zerriß.
Das bedeutende, in jeder Hinsicht gereifte Werk ist m. E. der Erstling einer
neuen epischen Dichtung historischen Vorwurfs. Der große Hunger nach Histo-
rischem wurde in den letzten Jahren zu befriedigen gesucht mit Surrogaten,
man nannte sie Biographien. Sie waren keine Kunstwerke, keine Dichtungen,
aber sie waren auch keine Wissenschaft, Sie gaben jedoch vor, beides zu ver-
einigen. Sie griffen zu einem psychologischen Allgemeinrezept, historische Ge-

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