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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 3 (März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0160
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hat er über technische Fragen der Kunst im allgemeinen und seiner
Kunst im besonderen gesprochen; dadurch baute er vor sein eigent-
liches Werk die Barrikaden der Theorie und machte es unzugäng-
lich für den breiteren Kreis der Durchschnittsleser. Denn wenn den
feinen Kenner auch gerade die einfachen, klugen und abgeklärten
kunst- und kulturkritischen Abhandlungen des Dichters entzücken,
der Laie wird sie doch bald aus der Hand legen, beunruhigt von dem
oft präzeptoralen Stil, kaum gefesselt von den durchsichtigen
Perioden, die nirgends jene heimlichen Schlingen aufweisen, in
denen sich das einfachere Lesergemüt verfängt und verwickelt.
Paul Ernsts theoretische Schriften, für manchen gerade die Zeug-
nisse seiner höchsten Meisterschaft, wurden sogar die Quelle von
allen möglichen Irrtümern, Denn durch sie gewöhnte der Dichter
die Leser daran, in seinem Kunstwerk ein durchdachtes rationales
Gebilde zu sehen; das ethische und ästhetische Problem, also die
Denkarbeit des Dichters trat in den Vordergrund, man glaubte,
bei ihm ein Überwiegen des Verstandes und ein Versagen der
Phantasie feststellen zu müssen, und damit war das vernichtende
Urteil bereits endgültig gefällt. Denn was man den Prosaikern Mann
und Wassermann gerne zusteht, kann man dem Dramatiker Ernst
nun einmal nicht zugeben. Wenn Ernst auch immer wieder betonte:
die Tragödie ist mehr als alle anderen Gattungen eine Kunst des
bauenden Verstandes — der Leser hat nun einmal seine andere
Meinung, er sieht doch seinen Hauptmann, seinen Strindberg auf
der Bühne, er ist doch auch nicht von gestern,
Paul Ernst aber geht nicht Gestern und Heute an, sondern ein
etwas weiterer Zeitraum, den wir heute nur etwa den „deutschen
Idealismus“ nennen können, der aber künftig vielleicht einmal ganz,
anders und in eigenartig kontrastierender Beziehung zu dem Christen-
tum gewertet wird.
Die bisher vorliegenden Werke der Gesamtausgabe zeigen
Ernst aber nicht einmal als Dramatiker, sondern nur als Erzähler
und als Autor zweier in wichtigen Gegenwartsfragen entscheidender
theoretischer Schriften, Die Erörterung der Bücher „Der Weg zur
Form“ und „Grundlagen der neuen Gesellschaft“ würde den Rahmen
dieses Aufsatzes sprengen. Begnügen wir uns dahei' mit dem Er-
zähler Ernst. Der Erzähler ist es ja auch vor allem, der Paul Ernst,
den Dramatiker, in ganz neuem (und doch auch dem alten) Licht
erscheinen läßt.
Wie wurde ein Novellist von solchem Rang?
Was Ernst schuf, bevor er seine Meisterschaft fand, sagt uns
nicht mehr viel. In den „Bemerkungen über mich selbst“ berichtet
er ein für den gewissenswachen Deutschen der Generation, die
heute sechzig ist, fast typisches Geschick. Aus dem kleinen, berg-
bautreibenden Harzstädtchen Elbingerode in die Großstadt Berlin
geworfen, findet ein junger Theologe das Elend der arbeitenden

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