DOI issue:
Nr. 5 (Mai)
DOI Page / Citation link: https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0301
DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
VIII. Jahrgang
Fünftes Heft Mai 1931
Barlachs Bettler*)
Von Carl Georg Heise
Barlach ringt um künstlerische Gestaltung mit verzehrender Leiden-
schaft, Was andere neben ihm imÜbermaß besitzen: Möglichkeiten
überzeugender Formensprache, geschmeidig, geschult an den Vor-
bildern der Jahrhunderte, davon besitzt er schülerhaft wenig, nur
eben das Notwendigste, um sich verständlich zu machen in Wort
und Bildwerk, Er ist kein gelernter Meister, aber er ist eine Be-
sessener, Was fast alle neben ihm vergeblich ersehnen: Phantasie,
Erlebniskraft, Sinngebung der Erscheinungen, des Daseins, der Welt,
davon scheint sein schwacher Körper fast zu bersten, soviel ist ihm
zu wissen und zu tragen aufgegeben. Er hat nie daran gedacht, sich
mit den Meistern auf ihrem eigensten Gebiet in Wettbewerb zu
setzen, er hat danach getrachtet sich zu befreien von der Last der
Gesichte,
Jahrzehnte hindurch hat er einsam gelebt, in einem für uns unvor-
stellbar langsamem Arbeitstakt wenige Holzbildwerke vollendend,
ohne jede Rücksicht auf die Nachfrage, nur den inneren Befehlen
untertan. Diese Jahre sind für ihn vorüber. Die Zeit ist erfüllt und
allen, auch seinen Freunden, ja fast ihm selber unerwartet, setzt er
seine großen bewegenden Zeichen mitten hinein in den Lärm des
Tages, Er schafft fieberhaft, fast eilend, er wählt große Formate,
er verläßt in vielen Fällen das von ihm bisher bevorzugte Holz-
Material als seinem gesteigerten Ausdruckswillen nicht fügsam ge-
nug, Das beginnt mit dem Güstrower Ehrenmal für die Gefallenen,
Beides wird fast überdeutlich: die seltsam schwere Hand des For-
menden und die sieghafte Kraft der Vision, Mit den wachsenden
Aufgaben wächst auch die Leistung. Der Kieler Erzengel und die
Magdeburger Kriegerehrung gehen fast über seine Kraft, Das Relief
für das Hamburger Gefallenendenkmal und die Figuren der Trauern-
den für die fürstlich Reussische Grabstätte — beides noch unvoll-
endet — sind stiller, schlichter, von der konzentrierten Schönheit
einer großen tragischen Gebärde, Die Bewältigung anderer monu-
") Wir weisen hin auf die Barlac’n- Ausstellung im Kunstverein,
Hamburg.
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Zeitschrift für künstlerische Kultur
VIII. Jahrgang
Fünftes Heft Mai 1931
Barlachs Bettler*)
Von Carl Georg Heise
Barlach ringt um künstlerische Gestaltung mit verzehrender Leiden-
schaft, Was andere neben ihm imÜbermaß besitzen: Möglichkeiten
überzeugender Formensprache, geschmeidig, geschult an den Vor-
bildern der Jahrhunderte, davon besitzt er schülerhaft wenig, nur
eben das Notwendigste, um sich verständlich zu machen in Wort
und Bildwerk, Er ist kein gelernter Meister, aber er ist eine Be-
sessener, Was fast alle neben ihm vergeblich ersehnen: Phantasie,
Erlebniskraft, Sinngebung der Erscheinungen, des Daseins, der Welt,
davon scheint sein schwacher Körper fast zu bersten, soviel ist ihm
zu wissen und zu tragen aufgegeben. Er hat nie daran gedacht, sich
mit den Meistern auf ihrem eigensten Gebiet in Wettbewerb zu
setzen, er hat danach getrachtet sich zu befreien von der Last der
Gesichte,
Jahrzehnte hindurch hat er einsam gelebt, in einem für uns unvor-
stellbar langsamem Arbeitstakt wenige Holzbildwerke vollendend,
ohne jede Rücksicht auf die Nachfrage, nur den inneren Befehlen
untertan. Diese Jahre sind für ihn vorüber. Die Zeit ist erfüllt und
allen, auch seinen Freunden, ja fast ihm selber unerwartet, setzt er
seine großen bewegenden Zeichen mitten hinein in den Lärm des
Tages, Er schafft fieberhaft, fast eilend, er wählt große Formate,
er verläßt in vielen Fällen das von ihm bisher bevorzugte Holz-
Material als seinem gesteigerten Ausdruckswillen nicht fügsam ge-
nug, Das beginnt mit dem Güstrower Ehrenmal für die Gefallenen,
Beides wird fast überdeutlich: die seltsam schwere Hand des For-
menden und die sieghafte Kraft der Vision, Mit den wachsenden
Aufgaben wächst auch die Leistung. Der Kieler Erzengel und die
Magdeburger Kriegerehrung gehen fast über seine Kraft, Das Relief
für das Hamburger Gefallenendenkmal und die Figuren der Trauern-
den für die fürstlich Reussische Grabstätte — beides noch unvoll-
endet — sind stiller, schlichter, von der konzentrierten Schönheit
einer großen tragischen Gebärde, Die Bewältigung anderer monu-
") Wir weisen hin auf die Barlac’n- Ausstellung im Kunstverein,
Hamburg.
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