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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 5 (Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0302
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mentaler Aufgaben läuft nebenher und wird den Künstler wohl noch
lange Zeit in Atem halten: Barlach arbeitet an zwei großen Figuren-
zyklen, dem „Fries der Lauschenden“ für das Musikzimmer eines
Berliner Musikfreundes und der „Gemeinschaft der Heiligen“ für die
Fassade der Lübecker Katharinenkirche,
Die Idee der Lauschenden entstammt dem in seiner Gesamtform
mißglückten Entwurf für ein Beethoven-Denkmal: um den zylin-
drischen Sockel, der den Kopf trug, lief ein Figurenfries in flachem
Relief, Diese Lauschenden allein, halbrund, holzgeschnitzt, in
schlichter Reihung werden das sein, was Kokoschka genannt hat
„Erwecker des Echos der Ewigkeit“. Ihnen gilt Barlachs besondere
Liebe, er kehrt aufatmend zurück ins stillste Bereich, Zwei dieser
Figuren sind vollendet. Erfüllte Zeugnisse eines reifen Altersstils,
Die Lübecker Figurenreihe ist, verglichen mit den Lauschenden,
stärker der Welt zugewendet, pathetischer. Fertig ist bisher nur
eine der Gestalten: ein Bettler auf Krücken, zwei Meter hoch, in ge-
brannter, dunkelbrauner Klinkermasse, Formal ist der strenge Auf-
bau bestimmt durch die schmale Nische, die die Figur aufnehmen
soll, deren strenge Vertikalen die Linien der Krücken und des Ge-
wandes betonen. Alles beherrschend ist der zurückgebogene Kopf:
Leid und Leid-Überwindung zu suggestiver Pathosformel verdichtet,
Im Kopf ist jede Form geladen mit Ausdruck, im summarischer be-
handelten großflächigen Gewand klingt die Erregung ab und die
Säulen der nackten Beine tragen schwer, von den Krücken unter-
stützt, das Gewicht des Hauptes,
Acht Figuren sind im ganzen vorgesehen: Leidende und Verklärte,
jeder auf seine Weise kämpfend mit seinem Gott, Ein Gefesselter ist
darunter, der sich gegen die Ketten auflehnt, ein Wüstenprediger,
ein Sternseher, eine Frau, die selig ihrer Vision sich hingibt, ein
Jüngling singend in mönchischem Gewand, Von den beiden letzt-
genannten Figuren hat die Hamburger Kunsthalle die Doppelstücke
bestellt, sie werden voraussichtlich noch in diesem Jahre ihrer Voll-
endung entgegengehen.
Drei Gründe sind vor allem gegen den Lübecker Plan vorgebracht:
Das Gegenständliche ist bemängelt worden, angeführt von einem
Geistlichen, „Abschaum der Menschheit“ hat man den Bettler ge-
nannt und ihm seinen Platz an der Klosterkirche des Heiligen Franz
nicht verstatten wollen. Wenn das Christentum nicht mehr die
Kraft besitzt, sich zu den Mühseligen und Beladenen zu bekennen,
so hat es sein bestes Teil verwirkt.
Dann hat man die Schönheit des alten Bauwerks vor moderner
Zutat von zweifelhaftem Werte schützen wollen, hat von „Ver-
schandelung“ der gotischen Fassade gesprochen und der Heimat-
schutzverein hat gegen den Plan Protest erhoben. Wer Barlachs
Ehrfurcht vor dem alten Baumeister kennt, wird ihm glauben müssen,
daß sein Vorhaben nicht übermütig ist und sein zunächst nur zögern-
des „Ja“ die Festigkeit der Überzeugung gewonnen hat aus der

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