Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

DOI issue:
Nr. 10 (Oktober)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0605
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DER KREIS
Zeitschrift für künstlerische Kultur
VIII. Jahrgang
Zehntes Heft Oktober 1931

Kassandra am laufenden Band
Von Ernst Lewalter
Was den Namen Glück anbetrifft, so scheint allgemeine Ein-
mütigkeit darüber zu bestehen, was er besage. Denn sowohl
die ganz gewöhnlichen Menschen wie auch die, die geistreiche Ein-
fälle darüber zum Besten geben, sind sich darüber einig, daß Glück-
lichsein bedeute: Wohlergehn und das Erreichen dessen, was man
angestrebt hat. Worin nun aber das Glück sichgründe, darüber
gibt es die widerstreitendsten Ansichten; und die gewöhnlichen
Menschen haben hier eine ganz andere Auffassung als die, die
darum wissen. Die gewöhnlichen Menschen nämlich wollen das
Glück in etwas Greifbarem und Sichtbarem finden — z. B, in Ge -
n u ß oder W ohlhabenheit oder Ansehen ; andere wieder
finden es in anderem, und oft findet es einundderselbe bald dort,
bald dort — so z. B, in der Gesundheit, solange er krank ist, und
in der Wohlhabenheit, wenn es ihm knapp geht. Manchmal
aber werden sie sich bewußt, daß sie nicht recht
Bescheid wissen, wie es eigentlich damit stehe,
und dann bestaunen sie solche Leute, die e t w a s
Großspuriges und hoch über ihre Köpfe Hinaus-
reichendes darüber zu vermelden haben.“
Diese von einer stillen Ironie durchleuchteten Worte leiten jene
Untersuchungen des Aristoteles ein, die einem ganzen Bereich
von Fragerichtungen in aller Folgezeit den Namen der ,,ethischen“
Probleme gegeben haben. Die innere Unruhe des Fragens, von der
diese Untersuchungen bewegt sind, die Suche nach dem, was dem
Menschen angemessen sei, ist seitdem nicht minder dringlich ge-
worden, und so hat es nichts Wunderbares, daß die Lage der Be-
antwortungen, von deren Zersetzung die Untersuchung des Aristo-
teles ausgeht, bis auf den heutigen Tag die gleiche geblieben ist.
Wer etwa heute eine solche „Ethik“ schreiben wollte, müßte von
der gleichen Erwägung ausgehen. Er müßte entdeckt haben, daß
die Menschen, zumeist mit sich ganz einig darüber, wo sie das
Glück zu suchen haben, dann aber doch immer wieder an ihrer
eigenen Einsicht verzagen. Und er würde wiederum sein Augen-
merk auf jene Menschensorte zu richten haben, die „etwas Groß-

1

537
 
Annotationen