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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 10 (Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0606
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spuriges dazu zu vermelden hat“; denn er würde finden müssen,
daß diese Sorte keineswegs ausgestorben ist.
Würde er aber heute, wie Aristoteles, diese Sorte in einem Bei-
satz beiseite stellen und sich dem Gegenstände seiner Untersuchung,
der Frage nach dem, was für den Menschen angemessen ist, an-
vertrauen können? Wohl kaum. Denn da er nicht solche wohl-
gestimmten Leser und Hörer hat, wie es die waren, zu denen Ari-
stoteles sprach, sondern befürchten muß, daß er zu solchen spricht,
die von jenen Großspurigen geblendet auch ihn als einen hoch über
ihre Köpfe Hinwegredenden bestaunen werden, so wird er nicht
umhin können, jene Menschensorte selbst zu einem vorgängigen
Gegenstand seiner Untersuchung zu machen.
So wenig er es sich leisten könnte, sich mit allem und jedem von
diesen großspurig Daherredenden abzugeben und sich gar mit ihnen
in Händel einzulassen, so dürfte er doch in d e m Falle nicht schwei-
gen, wo die Großspurigkeit vielleicht durch diesen oder jenen Zeit-
umstand begünstigt, eine weithinreichende Resonanz findet; denn in
solcher Resonanz müßte sich ihm eine Störung der Aufnahmebereit-
schaft der Lesenden für das, was er selbst etwa zu sagen haben
wird, anzeigen.
Nun aber scheint es, als ob unsere Epoche einen sonderlichen
Düngeboden abgibt, auf dem jene Großspurigkeit aufsprießt und ge-
deiht. Wenn wir darum an dem Beispielfall von Oswald Speng-
lers „M ensch und Technik (Beitrag zu einer Philosophie
des Lebens)“ Beschaffenheit und Erfolg solcher Großspurigkeit
näher ins Auge fassen, so kommt es uns auf eine Betrachtung der
zu vermutenden Störung an, nicht aber auf das, was gemeinhin einer
solchen „Polemik“ vorschwebt: die Bekundung einer abweichenden
„Ansicht“ oder die Abmessung des Vorgetragenen von einem geg-
nerischen „Standpunkt“ her.
Vielmehr liegt uns daran, am Beispiel des Falles Spengler ein
Erstaunen darüber herzurufen, wie es nur heute möglich sein
kann, daß jemand, der gar keine Ansicht hat, weil er
das, was er in den Blick zu nehmen versucht, nicht anzusehen
vermag, und der auch keinen Standpunkt hat, weil ihm
jede Grundlage fehlt, auf der sich stehen ließe — daß also so
jemand heute in den ernstlichen Ruf eines Künders geraten kann.
So wenig diese unsere Frage auf die unendliche Vielfältigkeit
derjenigen Behauptungen einzugehen hat, die Spenglers „Theorie“
ausmachen, so wenig kann es ihr beifallen, etwa die bessere wissen-
schaftliche Einzelkenntnis in diesem oder jenem Falle gegen jene
Behauptungen auszuspielen. Weit entfernt davon, Spengler vorzu-
werfen, daß er nicht genug gelesen habe, bewegt uns vielmehr das
Erstaunen, daß einer, der überhaupt nicht zu lesen ver-
steht, in den Ruf einer schrankenlosen „Belesenheit“ geraten
kann,


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