Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

DOI Heft:
Nr. 10 (Oktober)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0610
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sollte nun aber jemand, der für den „faustischen Menschen“ nicht
das rechte Mitgefühl aufbringen kann und dessen Herz nicht so sehr
an Dampfschiffen hängt, meinen, daß es dann ja nicht so schlimm
wäre, so muß ihn denn doch die düstere Folgerung, die Spengler
aus dieser Kunde zieht, stutzig machen. Denn er erfährt nun zu
seiner Verwunderung, daß er „auf verlorenem Posten“ (S, 89) stehe.
Auf diesem verlorenen Posten aber gelte es „auszuharren“. Ja,
wer wie Spengler, ein echt faustischer Mensch sei, der müsse sich
zu der „Weltanschauung des Achill“ bekennen: „Lieber ein kur-
zes Leben voll Taten und Ruhm als ein langes ohne Inhalt“ (S, 88),
Hier gerät der Leser, der von sich aus vielleicht nicht abgeneigt
wäre, diese Anweisung auszuführen, in rechtschaffene Verlegenheit,
Denn das, worauf es für Achill ankommt, ist ja der Ruhm — wie
aber wird es mit dem Ruhm stehen, wenn der faustische Mensch,
wie Spengler ja kündet, doch vergessen sein wird?
Schon hier wird der Leser, sofern er ein aufmerksamer Leser ist,
zweifeln müssen, ob denn Spengler, der im Buche des Schicksals
gelesen hat: „So ist es und so wird es sein“ (S, 6) — ob dieser
Schriftsteller, der sich auf S, 6 als einen „geborenen Menschen-
kenner, Lebenskenner, Geschichtskenner“ bezeichnet, während
doch wir andern bestenfalls zu so etwas erzogen werden können
— ob also dieser Kenner schlechthin denn überhaupt zu
lesen verstehe.
Ob also er, der, wie wir sahen, nicht weiß, was Ruhm ist,
denn etwa wisse, was Schicksal ist. Ob ihm bekannt sei,
daß Schicksal das schlechthin Undurchschaubare ist, das
sich jeder Berechnung Entziehende und absolut über des Menschen
Leben Mächtige, Ein Schicksal, dessen Lauf man „voraussehen“
kann, ist eben deshalb kein Schicksal mehr — so wenig wie eine
Krise, von deren Nachher man etwas weiß, noch eine Krise ist.
Das Grauen über den Untergang wird sich bei dem aufmerksamen
Leser nun schon gemildert haben. Aber er möchte nun doch wissen,
warum denn Spengler den Untergang der Dampfschiffe als etwas so Ent-
setzliches ausruft, daß da nichts übrig bleibt als zu handeln wie Achill,
Und hier nun enthüllt sich ihm erst der ganze Einblick in diese
Großspurigkeit, die darauf verzichtet, das „Nähere auszudenken“,
die sich wohl mit einer unübersehbaren Fülle von Einzelheiten be-
kanntgemacht, aber nicht Zeit und Geduld gehabt hat, sich zu
„sammeln“, d, h, mit sich über die Kategorien, die sie gebraucht, zu
Rate zu gehen.
Die Technik nämlich, so belehrt uns Spengler, ist das spezifische
Erzeugnis des „faustischen Menschen“; dieser aber ist darum so zu
lieben und sein Untergang stellt darum so stoische Anforderungen,
weil er die schönste Ausformung dessen ist, was der Mensch über-
haupt sein kann: nämlich ein Raubtier,
„Denn der Mensch ist ein Raubtier“ — so kündet Spengler in
Sperrdruck (auf S, 14), Diesen lapidaren Satz gilt es ins Auge zu

542
 
Annotationen