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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 11 (November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0678
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und Darstellung zum Verständnis, Und gerade „Verstehen“ be-
deutet für uns die Hineinnahme eines Zusammenhangs in unser
Lebensgefüge: damit müssen wir uns über dieses Lebensgefüge
klar werden, seine Gesetzmäßigkeit und seine Grenzen erkennen.
Mir scheint, als ob wir mitten in der kraftvollen Bescheidung un-
ruhiger, geistig bewegter geworden sind als die Generation vor uns
in ihrer notlosen Sättigung war. Es ist einer der großen zwingenden
Gedanken Hegels, daß ein Entwicklungsabschnitt abläuft, sich im
Nichts ausläuft, um aus diesem zugleich erfüllten und nichtigen
Moment in einem Ruck sich herumzuwerfen, um frei zu einer neuen
gegensätzlichen Inangriffnahme, zu einem jugendlichen Anfang zu
werden. Stehen wir nicht an einem solchen Punkte? Greifen wir
nicht mit der Stärke der Enttäuschten in die Zukunft hinein? Bilden
wir nicht in einer deutlich sichtbaren dynamischen Verfassung un-
erhörte Gestalten? Streben wir nicht in nackter Selbstaufgabe zu
einem Gott ganz unmittelbar empor, der aller verbrauchten Hüllen
der Vergangenheit beraubt ist? Und schließlich: zerreißen unsere
Philosophen, die den Namen verdienen, nicht alte Decken, um
Wesenheiten aufzutun, die bisher keinen Namen hatten?
Unser Leben ist voll von Wirrnis und Zerrissenheit: aber es ist,
und das ist sein Signum, es ist lebendiger denn je, Wohl in keiner
früheren Epoche der abendländischen Kultur sind so viele Glieder
der zerklüfteten Volksgemeinschaft ans Fragen und Nachdenken
gekommen wie heute. Die meisten fragen mit den Worten und
Begriffsversuchen der ,,sozialen Frage“, andere greifen sich die
Hände wund an den grundsätzlichen Bildungen — oft nur den
Schlagworten — der Politik; wieder andere suchen Formen der
seelischen Haltung, die mitten im Wirbel sich ausprobierender Ver-
gesellschaftungen Bestand haben möchten; die ungeheuren An-
strengungen, die dem Sport und seinen Wettleistungen angeboten
werden, wollen neben dem eigentlichen Leben eine Welt sozusagen
im Modell aufbauen, in der Ordnung, Übersichtlichkeit, Gerechtig-
keit in der Verteilung von Werk und Lohn sichtbar werden; die
Technik, in der fortwährend das Unmögliche möglich wird, erobert
die Gehirne mit einer Ausschließlichkeit, die den Menschen des
Menschlichen zu berauben droht: aber auch sie ist ein Beweis des
aus sich herausdrängenden Lebens, allerdings nur wirklich eines
aus sich heraus drängenden. Von allen diesen „Bewegungen“
wird schließlich der letzte ergriffen: sie alle arbeiten in tausend
Mannigfaltigkeiten und Feindschaften an einer zukünftigen Welt,
Und in allen wird „Philosophisches“ geweckt mit einer notgeborenen
Leidenschaftlichkeit, die das Wahre, Richtige, das Absolute in Ver-
hüllungen und Verschränkungen, aber doch mit aufrichtiger Hin-
gabe erstrebt. Und dieses Philosophieren hat es tatsächlich mit dem
Konkreten und schlechthin Gegenwärtigen zu tun,
Hegel ist einer der Philosophen, die zugleich das Leben und das
Denken gedacht haben, Ei* kann sich in einem Kreis von abstrakten

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