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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 11 (November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0680
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Mahnung und Klage Rilkes (die Sonette an Orpheus I, 3) werden
nie verstummen, wenn auch im Laufe der wechselnden Weltstim-
mungen das ,,Verhängnis des Bewußtseins“ mehr oder weniger heftig
empfunden wird. Unserer Jugend ist es schon wieder deutlich, daß
Sachlichkeit von uns gemacht wird, daß dahinter der Rest steht,
der R.est des unenträtselten, drohenden Ding-an-sich, Von diesem
Druck wollte Hegel die Denkenden seiner Zeit befreien. Wenn ein
Gott, der die Welt als sich selbst in ewiger Tätigkeit schaffend
denkt und denkend schafft, sein Sein bewegt, so bewegt er auch
alles Bewußtsein, Also auch wir, die wir als Subjekte Objekte
bilden, sind bewußt in der Form des Selbstbewußtseins Gottes;
wenn wir unser Ich erfahren als getrennt von der Welt, und die
Welt erfahren als getrennt vom Ich, so ist schon die alleinumfassende
Idee, Gott selbst, nahe, um diesen Zwiespalt zur Harmonie zu er-
heben: ist doch in der Selbstbewegung Gottes, die jene Trennungen
als Motive des Lebens in sich birgt, alles Anderssein von Ewigkeit
her ein Eins-Sein,
Wenn man von dem Gedankengefüge Hegels ein Teilstück be-
schreiben will — oder nur wiedergeben —, so wird man mit einem
Zwang, der der Einheit des Systems alle Ehre macht, zur Dar-
stellung des Ganzen, immer wieder des Ganzen, gedrängt. So
geriet der Bericht über den konkreten Begriff des Dinges, der
,,Natur“, unversehens in den Fragebereich des „subjektiven Gei-
stes“, Es läßt sich ja doch der Begriff nicht vom Begreifenden
scheiden: natürlich scheidet auch Hegel nur im Interesse der
Sonderberichterstattung des „absoluten Geistes“, von dessen Selbst-
bewegung auch der subjektive Geist eine die Auffassung der
Natur wiederum einschließende Sonderform des „Lebens“ ist.
Dieser Kreis im Planetensystem der Kreise hat als Umfang den
subjektiven Geist; in ihm liegt konzentrisch der Begriff der
Natur; und der Inhalt, der sich im Sphärengesang der Planeten
auch wieder als Umfang betätigt, ist die konkrete Welt, — Kehrt
unsere Aufmerksamkeit nun noch einmal in die Dialektik von Be-
griff und Welt zurück, so müssen wir fragen: ist es für unser Begehr
nach einem Sein des Seins ein Positives, eine Vermehrung und Be-
stätigung unseres dynamischen Lebensgefühls, die Bestimmtheit der
Dinge so machtvoll deduziert und dekretiert zu finden? Gewiß: für
Hegel ist die „Freiheit“ das immer gegenwärtige Ziel, auch mitten
in der Gebundenheit und Gesetzmäßigkeit der Natur, Aber wir
wollen das Wagnis! Wir wollen uns an die Natur wagen, und die
Natur soll sich an uns wagen: ist das nicht der geheime Schwung in
unserem Maschinenzeitalter? Ist nicht der tägliche Sturz aller In-
dividuen in die Masse, in die rädernde Gesetzlichkeit des Kollek-
tivismus die Sehnsucht nach einem neuen Aufstieg freier Seelen?
Es ist erschütternd für uns Nachfahren der mechanistischen Jahr-
hunderte, wenn wir hören, daß die Atomforschung — oder soll man
sagen die Naturphilosophie der Forscher? — in der letzten Daseins-

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