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Krenn, Margit; Winterer, Christoph
Mit Pinsel und Federkiel: Geschichte der mittelalterlichen Buchmalerei — Darmstadt: WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.71566#0099
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(23,9 x 17 cm) handelt: Solche Handschriften ma-
chen mit etwas über 20 belegten Exemplaren das
Gros dieser in sich vielgliedrigen Gruppe aus; in
nennenswerter Zahl scheinen ansonsten nur Missa-
lien hergestellt worden zu sein. Das dem ersten
Psalm vorangestellte Christusbild ist noch einmal
abstrakter und geometrischer als die Bilder im
Landgrafenpsalter; dort hatten die harten Falten-
umbrüche nicht die ganze Oberfläche überzogen,
sondern vor allem Säume und lose hängende Ge-
wandteile erfasst. Das Relief der kristallinen Falten
war dabei ein Mittel, dem Bild zum einen Dynamik
und Expressivität zu verleihen und zum anderen
das Volumen des Körpers zu suggerieren, den die
Kleidung umhüllt. Beide Interessen hat die thürin-
gisch-sächsische Buchmalerei mit der eigentlich go-
tischen Kunst gemein. Schon in den dreißiger Jah-
ren des 13.Jahrhunderts hatte die Dynamik jedoch
nachgelassen und die knittrigen Falten waren zu ei-
nem konventionellen Mittel geworden, das nur
noch dem Gewand Relief verleihen sollte. Damals
hatten schon mehrere Ausprägungen des Stils ne-
beneinander bestanden, im Donaueschinger Psalter
in Stuttgart (Württembergische LB, Don. 309) so-
gar drei sehr unterschiedliche in einer einzigen
Handschrift. An diesem Psalter war bereits ein Ma-
ler beteiligt, der so arbeitete wie 15 bis 20 Jahre spä-
ter der Künstler des Aachener Psalters und der die
ganze Oberfläche in hartkantige Splitter aufbrach.
Vielleicht ließ sich dieser Maler von einer anderen
norddeutschen Ausprägung des Zackenstils anre-
gen, wie sie um 1220-1230 qualitätsvoll im Gosla-
rer Evangeliar (Goslar, Stadtarchiv, B 4387) auftritt,
doch wirken nun die Figuren trotz der Glanzlichter
kaum mehr plastisch. Dem Körper unter dem Ge-
wand wurde, wie spätestens die unterschiedlich ho-
hen Knie der Christusfigur klarmachen, keine gro-
ße Bedeutung mehr zugemessen: Wie in der
Romanik blieb nun alles wieder in der Fläche.
Der Zackenstil ist wegen solcher rückwärtsge-
wandter Tendenzen und wegen seiner Byzantinis-
men von vielen Forschern als letzter Ausläufer der
Romanik gesehen worden. Tatsächlich stehen noch
andere der von uns vorgestellten Codices auf der
Schwelle zwischen Romanik und Gotik (vgl.
Abb.43 u. 44). Andererseits zeigen sich selbst am
Aachener Psalter und mehr noch an seinen quali-
tätsvolleren Vorgängern moderne Züge, die anzei-
gen, dass man den eigenen Stil durchaus als voll-
wertige Alternative zu den westlichen Erneue-
rungsbestrebungen sah. Die Schrift ist bereits die
voll ausgebildete gotische Minuskel, und die Un-

terteilung des Psalters durch Goldinitialen an zehn
Stellen ist eine Kombination aus der angelsächsisch-
karolingischen Dreiteilung (Ps. 1, 51 und 101) und
der zukunftsweisenden liturgischen Achtteilung
westeuropäischer Psalterien. Der erste Psalm, der
mit „Beatus vir" (Gesegnet der Mann) beginnt, ge-
hört dabei zu beiden Teilungssystemen und ist be-
sonders prachtvoll ausgestattet. Mit der französi-
schen Kunst der gleichen Zeit hat die thüringisch-
sächsische Buchmalerei aber auch die prinzipielle
Vorliebe für Rottöne und Blau gemein, die in unse-
rem Psalter allerdings pastellartig abgemildert sind.
Sogar die kulturellen und wirtschaftlichen Be-
dingungen, unter denen Werke wie dieser Psalter
geschaffen wurden, waren gar nicht so weit von de-
nen im Westen entfernt. Auch in Deutschland spiel-
ten jetzt die adligen Auftraggeber, und zwar zu-
nächst vor allem die adligen Frauen, eine herausra-
gende Rolle. Der Psalter in Darmstadt ist zwar
schon bald nach seiner Herstellung in das Kanoni-
kerstift an der Aachener Marienkirche gelangt und
muss nicht durch die Hände einer Dame oder eines
Fürsten gegangen sein, doch dafür sind viele Fälle
bekannt, in denen deutsche, französische oder eng-
lische Adlige Psalterien in Auftrag gaben. Der Psal-
ter, der dem Aachener Psalter künstlerisch und auch
zeitlich am nächsten steht, wurde für Mechthild
von Braunschweig und Anhalt geschrieben (Berlin,
SB Preußischer Kulturbesitz, theol. lat. qu. 31). Wie
Landgräfin Sophie erwarben viele hochgestellte
Adlige sogar mehrere Prachtpsalterien. Durch eige-
ne Ankäufe und die seiner Vorfahren ist König
Karl V. von Frankreich (reg. 1364-1380) in den Be-
sitz von insgesamt 36 Psalterien gekommen; er be-
saß damit dreimal so viele Psalterien wie gegen 1050
das Kloster Sankt Gallen.
Der Buchmarkt kann zwar damals in Sachsen
noch nicht so hoch entwickelt gewesen sein wie in
Paris, aber bereits die Zusammenarbeit dreier Maler
im Donaueschinger Psalter belegt eine organisierte
Arbeitsteilung. Wie gerade der Mechthild-Psalter
und Darmstadt Hs 886 zeigen, scheuten die Koor-
dinatoren der Buchherstellung nicht mehr davor
zurück, zweitrangige Maler zu beauftragen, um
mehr Bücher anbieten zu können. Im Mechthild-
Psalter gibt es immerhin noch ein einzelnes Bild
von besonderer Qualität, in Darmstadt Hs 886 sind
beide Vollbilder nur noch ein ferner Widerschein
der ursprünglichen Stilideen. Man hat diese Hand-
schriftengruppe mit Hildesheim in Verbindung ge-
bracht, und es kann durchaus sein, dass eines der
zahlreichen Klöster und Stifte in dieses Geschäft

99 4. Der neue Kosmos
der gotischen
Buchmalerei
 
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