Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9er Psalter -
ein Buch für viele Zwecke
Der Psalter hat im gesamten Mittelalter für das religiöse All-
tagsleben der Christen eine immense Bedeutung besessen. Be-
reits im Judentum und im spätantiken Synagogengottesdienst
hat diese alttestamentliche Sammlung von 150 Liedern eine
große Rolle gespielt. Zugeschrieben wurden diese Psalmen
genannten Lieder König David und vier namentlich benann-
ten Dichtern aus seiner Umgebung. Ihr Inhalt ist oft das Got-
teslob, doch in vielen Psalmen wird auch der Herr um Beistand
gegen Feinde oder um Verzeihung für eigene Vergehen ange-
fleht. Wie alle Texte des Alten Testaments wurden die Psalmen
der exegetischen Deutung nach dem Prinzip des mehrfachen
Schriftsinnes unterworfen, wodurch ihr Inhalt der neuen
christlichen Ideenwelt zugänglich wurde. So sind viele Psal-
men als Vorhersagen von Christi Leben und Tod verstanden
worden, bei anderen sah man mehr die Anweisungen für die
rechte Lebensführung. Der Psalter konnte in der Exegese des
Alten Testaments sogar eine herausgehobene Stellung besit-
zen, weil er als Synthese der gesamten Schrift betrachtet wor-
den ist, mit deren Hilfe man in die Geheimnisse der übrigen
Bücher eindringen konnte.
Der Gebrauch des Psalters war sehr vielfältig: Schon in
karolingischer Zeit zählte der Theologe Alkuin in einer Hand-
leitung neun verschiedene Zwecke der Psalmen auf, außer
dem Studium etwa auch Buße, Bitte um geistliche Stärkung
bei Hoffnungslosigkeit und Anfechtung und natürlich das
Gotteslob. Denn seinen unvergleichlichen Platz im Alltagsle-
ben seit frühchristlicher Zeit gewann der Psalter als wichtigs-
tes Gebetbuch der Christenheit. Mit Psalmen wurden die Ge-
betsstunden des Tages und der Woche angefüllt und damit
in gewissem Sinn sogar die Zeit gegliedert. Bekannt ist, dass
der heilige Benedikt (ca. 480—547) in seiner Mönchsregel
forderte, den ganzen Psalter einmal in jeder Woche gemein-
sam zu beten. Allerdings war zu seiner Zeit das liturgische
Psalmengebet schon in den großen Kirchen Roms und des
übrigen Italien üblich. Hier wurde im Nachtgottesdienst (Vi-
gil oder Matutin) zum Sonntag beim ersten Psalm begonnen
und an den folgenden Tagen beim 26., 38., 52., 68., 80. und
97. Psalm weitergebetet; in der Vesper, dem Abendgebet,
wurden über die Woche verteilt die Psalmen ab dem 109. ge-
betet. Die Benediktiner verteilten die Psalmen etwas anders,
beteten vom Montag an die ersten 19 Psalmen jeweils über
die Woche verteilt in der Prim, der ersten Gebetsstunde des
Tages. In der Nachtfeier zum Sonntag begannen sie deswe-
gen erst beim 20. Psalm. Die private Devotion und die Litur-
gie der Kanoniker hat sich im Mittelalter fast immer an der
einfacheren römischen Ordnung orientiert. Im Spätmittelal-

ter ist der Psalter allerdings als privates Andachtsbuch vom
Stundenbuch verdrängt worden, das aber selbst nicht unwe-
sentlich auf Psalmen aufbaut.
Als Handschrift umfasste der Psalter gewöhnlich auch
bestimmte Lieder aus Altem und Neuem Testament, die so-
genannten Cantica, sowie verschiedene Glaubensbekennt-
nisse und manchmal den apokryphen Psalm 151. Für den
liturgischen Gebrauch war oft ein Kalendar zur Festberech-
nung vorgebunden; im Psalterium feriatum wurden zudem
die Antiphone sowie der Ort des jeweiligen Psalmes im Wo-
chenrhythmus notiert. Stärker auf das Studium ausgelegte
Psalterien enthalten auch die erläuternden „Tituli psalmo-
rum", doch ist die Grenze zu liturgischen Handschriften nicht
immer scharf gezogen worden. Liturgisch praktisch nicht
nutzbar war nur das Psalterium triplex, das die drei lateini-
schen Textrezensionen in Spalten nebeneinander bietet, und
das Psalterium quadruplex, wo noch der griechische Text
hinzukommt. Die drei dem Hieronymus zugeschriebenen la-
teinischen Bearbeitungen sind das kaum korrigierte Psalteri-
um Romanum, das verbesserte Psalterium Gallicanum und
das anspruchsvolle, aber liturgisch bedeutungslose Psalteri-
um iuxta Hebraicum. Im liturgischen Gebrauch spielte das
Gabicanum die größte Rolle, während sich das Romanum
nur in der Liturgie von Rom, Montecassino und England lan-
ge halten konnte.
Häufig wird der Psalter mit einem Bild des harfespielen-
den Königs David, nicht selten im Kreis seiner vier Koauto-
ren, eingeleitet. Im Frühmittelalter geschieht dies zumeist in
einer ganzseitigen Miniatur, während Hoch- und Spätmittel-
alter die historisierte Initiale bevorzugten (vgl. Abb. 59).
Frühe Psalterien haben in einigen Fällen eine opulente Bild-
ausstattung, bei der in Streifenbildern und historisierten Ini-
tialen sehr viele bis hin zu sämtlichen Psalmen illustriert
sind. Häufig sind aber auch nur nach insularer Tradition die
drei Psalmen 1, 51 und 101 mit besonderen Initialen betont. In
romanischer Zeit sind Prachtpsalterien außerhalb Englands
sehr selten; am Ende des 12. Jahrhunderts verbreitet sich aber
von England und Flandern aus ein Psalterientyp, der ein il-
lustriertes Kalendar, ein mehr oder weniger umfangreiches
Bildproömium aus ganzseitigen Miniaturen und historisierte
Initialen an den erwähnten acht Psalmen der römischen Ein-
teilung enthält. Die Thematik der Initialbilder, die vor allem
auf Christus oder David Bezug nehmen, ist oft regional un-
terschiedlich. Für die neue Pariser Bibel war keine Revision
des Psalters vorgenommen worden; oftmals fehlte er sogar
als liturgisch-devotionales Buch in der Vollbibel. Im Paris
der Gotik gesellte sich jedoch zur römischen Achtteilung wie-
der die alte Dreiteilung, sodass hier insgesamt zehn Psalmen
— Psalm i gehört zu beiden Systemen - ausgezeichnet sind.

TTT Buchkunst
III • im Spiegel
der Zeiten

100
 
Annotationen