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involviert war. Aber die Ausführung muss nicht
mehr bei Geistlichen gelegen haben. Ein Detail am
Mechthild-Psalter zeigt das schlaglichtartig: Hier ist
versehentlich nicht der 97., sondern der 95. Psalm
ausgezeichnet worden, die beide mit „Cantate do-
mino canticum novum" beginnen. Für die Benut-
zerin der Handschrift hätte das aber eigentlich zur
Folge gehabt, dass sie samstags zwei Psalmen zu
viel zu beten hatte und freitags zwei zu wenig. Ei-
nem an das Stundengebet gewöhnten Mönch hätte
das kaum passieren können.
Der zackenbrüchige Stil ist auch außerhalb des
thüringisch-sächsischen Raumes aufgetreten, und
zwar in sehr unterschiedlichen Ausprägungen, und
er war dabei nicht einmal die einzige „Postroma-
nik" im deutschen Raum. Im Mittelrheingebiet,
besonders im Mainzer und wohl auch im Trierer
Erzbistum entwickelte sich ein Zackenstil, der
nach 1250 sehr qualitätsvolle Werke hervorbrachte,
die mit der französischen Kunst konkurrieren
konnten.
Die beiden professionell gearbeiteten Miniatu-
ren in dem nur 10x7 cm messenden Psalter-Brevier
der seligen Gertrud, Darmstadt Hs 2230 (Abb.52),
dürfen diesem Stil wohl zugerechnet werden; sie
zeigen zumindest Züge, die - weit raffinierter - aus
dem Mainzer Evangeliar (Aschaffenburg, Hofbib-
liothek, Ms. 13) bekannt sind. Die aus Byzanz über-
nommenen hartbrüchigen Falten sind hier zwar
endgültig zu kristallinen Splittern geworden, doch
werden sie weit mehr noch als in Sachsen dazu ver-
wendet, das Volumen des Körpers herauszustrei-
chen. Dafür werden zum einen größere Faltenflä-
chen betont, die wie im Bild der Kreuzabnahme
(vergleichsweise schwach aber) am Bein der Maria
unter Zugspannung zu stehen scheinen; zum ande-
ren werden geometrisch-harte Faltensäume um die
eigentlichen Figuren herumgezogen, sodass sie wie
hier das leuchtend rote Pallium um Johannes eine
Art harter Schale um die Körper bilden.
Die Psalterien aus Frauenhand, ob für privaten
oder liturgischen Gebrauch, sind Zeugnisse einer
besonderen Arbeitsteilung in früh- und hochmit-
telalterlichen Adelshäusern. Den Frauen kam der
Gebetsdienst zu, der den adligen Männern durcli
ihre kriegerische Lebensführung weitgehend ver-
sagt war; es wurde erwartet, dass sie für das irdische
Wohl und für das Seelenheil ihrer Angehörigen be-
teten. Nach dem Tod von Familienmitgliedern
wurde die Gebetsfürsprache noch weiter intensi-
viert, da sie das Los der Verstorbenen verbessern
sollte. Oft haben sich adlige Frauen als Witwen in


Im äußerst kleinen Gebetbuch der seligen Gertrud
von Altenberg sind zwei Miniaturen von einem
professionellen Maler ausgeführt worden. Sie gehö-
ren zum mittelrheinischen „ Zackenstil". Um 1250.
Hs2230, fol. 8v (10 x 7 cm).

Kanonissenstiften oder sogar Klöstern der Memo-
ria, also dem Gebetsgedenken ihrer Männer ge-
widmet. Das Gebetbuch der seligen Gertrud, der
Tochter der heiligen Elisabeth und Enkelin der
Landgräfin Sophie, ist sogar ein Monument für ei-
nen Gebetsdienst, den eine Adelstochter praktisch
bei der Geburt auferlegt bekommen hatte, denn es
handelt sich hierbei nicht um ein Psalterium für
eine weltliche Frau, sondern es sollte Gertrud bei
der Teilnahme am liturgischen Stundengebet im
Kloster Altenberg bei Wetzlar dienen, in das sie
1229 schon als Zweijährige abgegeben worden war.
Auf die Psalmen, die selbstverständlich die liturgi-
sche Achtteilung aufweisen, folgen hier deswegen
unter anderem die nach dem Kirchenjahr sortierten
Gebete und Gesänge zu den Tagstunden. Es han-
delt sich also um ein Brevier oder genauer ein Tag-
Brevier (Diurnale) ohne die Nachtstunden. Ein

101 4. Der neue Kosmos
der gotischen
Buchmalerei
 
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