Nachträglich auf ein freies Blatt gemalt wurde in
dasselbe Gebetbuch die kolorierte Federzeichnung,
die wohl den Abschied Landgraf Ludwigs von Thü-
ringen von seiner Frau, der heiligen Elisabeth, zeigt.
Hs 2230, fol. 8v.
entsprechendes Buch konnte nur von Spezialisten
zusammengestellt werden, die auch die lokalen Be-
sonderheiten zu berücksichtigen vermochten. Da-
für kam dem Bildschmuck nur der Status einer Bei-
gabe zu, zumal die beiden Miniaturen auf Einzel-
blättern eingefügt und die Initialen zunächst nicht
alle fertiggestellt wurden.
Dass dieses Buch für einen liturgischen Rah-
men geschaffen wurde, ist recht bezeichnend für
die mittelrheinische Produktion. Soweit es sich
heute noch erkennen lässt, konzentrierte sie sich
erkennbar auf liturgische und klösterliche Hand-
schriften; so bilden neben einem weiteren Psalter-
Brevier (Stockholm, Nationalmuseum, B 1926) und
einem Privatpsalter (Hamburg, Staats- und UB
Carl von Ossietzky, Cod. 83 in scrinio) ein Lektio-
nar für das Stundengebet (Hamburg, Cod. 1 in scri-
nio) und das erwähnte Mainzer Evangeliar die
Hauptwerke der Gruppe. Zusätzlich fällt auf, dass
der Stil dieser Buchmalereien in Wand-, Glas- und
frühen Tafelmalereien wiederkehrt. Diese Arbeit in
mehreren Gattungen lässt zunächst an eine weltli-
che Werkstatt denken. Aber in dem für Zisterzien-
serinnen geschaffenen Hamburger Lektionar hat
sich ein Franziskaner porträtiert, und das wichtigs-
te erhaltene Glasmalereiensemble dieser Kunstrich-
tung ist ausgerechnet die nach 1255 fertiggestellte
Apsisverglasung von San Francesco in Assisi. Der
Mainzer Franziskanerkonvent ist also, wie 50 Jahre
später der in Köln, als Entstehungsort der Haupt-
werke in Erwägung zu ziehen.
Ein Bild in Hs 2230 gehört allerdings nicht zum
Umkreis des mittelrheinischen Zackenstils, setzt
dafür aber bemerkenswerte eigene Akzente. Es ist
die auf der Seite nach dem Kalendar nachgetragene
kolorierte Zeichnung, die nach aller Wahrschein-
lichkeit den Landgrafen Ludwig IV. zeigt, wie er
sich beim Aufbruch zum Kreuzzug von seiner Frau
Elisabeth verabschiedet (Abb.53). Selbstverständ-
lich ist bei dieser Darstellung von Gertruds Eltern
eine unerfahrene Hand an der Arbeit gewesen. Al-
lerdings kann nicht von einer im Wortsinn „naiven"
Zeichnung die Rede sein, da sie dafür viel zu deut-
lich Tendenzen eines frühgotischen Stils aufnimmt,
die sich in den beiden Miniaturen nicht finden. Das
Bild entspricht zudem der in Altenberg üblichen
Ikonografie dieser Szene, die ihrerseits auf andere
Vorbilder zurückgehen muss. Am ehesten ist diese
Formel für den Abschied zweier adliger Protago-
nisten aus den Illustrationen höfischer Romane in
die Altenberger Bilderzählung gelangt. Wenn hier
Elemente der profanen Ikonografie in ein Heiligen-
leben eindringen, kann dies nicht ganz verwundern,
da das 13. auch das Jahrhundert ist, in dem dichteri-
sche Stoffe in einem im Mittelalter noch nie dage-
wesenen Umfang illustriert wurden. Zugleich war
dies die Zeit, in der die wichtigsten höfischen Ro-
mane überhaupt erst entstanden und der Minnesang
auch in Deutschland verschriftlicht wurde. Dass
man die neuen, aus dem Westen kommenden Ro-
manstoffe vorgetragen bekam, in Bildern betrach-
tete oder sogar selbst las, war ein wesentlicher
Bestandteil adliger Repräsentation und höfischen
Soziallebens geworden. Die neuen Romane hatten
dabei sogar vorbildliche Funktion, da sie auch Fra-
gen des angemessenen Betragens bei Hofe und der
Moral im Spannungsfeld zwischen Welt und Religi-
on behandelten.
Erstaunlich häufig sind die profanen Texte schon
in der ersten Jahrhunderthälfte illustriert worden.
TTT Buchkunst
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der Zeiten
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