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Künstle, Karl [Hrsg.]; Kraus, Franz Xaver [Gefeierte Pers.]
Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell und ihre neuentdeckten Wandgemälde: eine Festschrift Franz Xaver Kraus zum 60. Geburtstag am 18.8.1900 — Freiburg (i.Br.), 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.7768#0020
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ZWEITES KAPITEL.

BAUGESCHICHTLICHE UNTERSUCHUNG
DER KIRCHE VON NIEDERZELL.

FÜR die Datierung des Apsidalgemäldes
zu Niederzell ist eine baugeschichtliche
Untersuchung der Kirche unerläfslich, da kein
Zweifel darüber bestehen kann, dafs das Gemälde,
welches die ganze Kirche beherrscht, im Zusam-
menhang mit der übrigen Innenausstattung er-
stellt worden ist. Zwar fehlt es nicht an Arbeiten
über diesen Gegenstand, wie das umfangreiche
Bücherverzeichnis bei Kraus1 lehrt. Selbständigen
Wert besitzt jedoch nur der Aufsatz von Adler:
„Die Kloster- und Stiftskirchen auf der Insel
Reichenau"2. Sein Resultat bezüglich Niederzells
ist ein ganz überraschendes, insofern nach ihm
die Ostteile ein karolingisches Bauwerk etwa
aus dem Jahr 800 darstellen. Ohne weitere
Nachprüfung ist diese Anschauung bisher von
den meisten übernommen worden, nur Rahn fin-
det, dafs für eine solche Annahme alle Belege
fehlen3. Auch Dehio undBezold4 bemerken:
„sicherlich nicht karolingisch, wie Adler will,
sondern jünger, wohl erst saec. 11."

Das ist auch unsere Meinung; bevor wir
uns jedoch mit Adler auseinandersetzen, möge
eine kurze Beschreibung der Kirche vorangehen.

1 Die Kunstdenkmäler des Grofsherzogtums Baden etc.
I, 326.

2 Zeitschrift für Bauwesen. Jahrg. XIX (Berlin 1869),
528 if.; auch separat unter dem Titel: Baugeschichtliche
Forschungen in Deutschland I (Berlin 1870).

3 Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz
(Zürich 1876) S. 103.

4 Die kirchliche Baukunst des Abendlandes I, 577.

Im Jahre 799 hatte Egino, ein Verwandter
der Königin Hildegard, auf sein Bistum Verona
verzichtet und sich auf die Insel Reichenau zu-
rückgezogen, wo er am westlichen Ende der
Insel eine Propstei für sechs Mönche gründete
und eine Kirche zu Ehren der Apostel Petrus
und Paulus erbaute, in welcher er im Jahre 802
seine Grabstätte fand *. Ist dieses Bauwerk noch
erhalten? Was wir heute in Niederzell vor uns
haben, ist eine dreischiffige romanische Säulen-
basilika von je fünf Arkaden. Dem Mittelschiff
legt sich ein auffallend langes Presbyterium vor,
das mit einer Apside schliefst. (Vgl. Fig. 3 und 4:
Grundrifs und Längenschnitt.) Die Nebenschiffe
setzen sich zu beiden Seiten des Presbyteriums
als besondere Nebenchöre fort und schliefsen
ebenfalls in kleinen Apsiden in einer Linie mit
der Hauptapside. Der Zwischenraum zwischen
Haupt- und Nebenapsiden ist mit einem massiven
Mauerkern ausgefüllt, die Nebenapsiden sind
rechtwinklig hintermauert, so dafs man von
aufsen von den Apsiden nichts gewahr wird.
Über den beiden Nebenapsiden erheben sich
zwei quadratische Glockentürme, deren obere
Partien jedoch jüngeres Mauerwerk aufweisen.
Am südlichen Turm reicht das alte Mauerwerk
bis zur Höhe der Hauptapside, am nördlichen
bis zu den Schallöffnungen. Letztere zeigen nur

1 Brandl, Quellen und Forschungen zur Geschichte der
Abtei Eeichenau. Bd. II: Die Chronik des Gallus Öhem
S. 35, und Neugart, Episcopatus Constantiensis II, 574.

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