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Künstle, Karl [Hrsg.]; Kraus, Franz Xaver [Gefeierte Pers.]
Die Pfarrkirche St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell und ihre neuentdeckten Wandgemälde: eine Festschrift Franz Xaver Kraus zum 60. Geburtstag am 18.8.1900 — Freiburg (i.Br.), 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.7768#0038
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DEITTES KAPITEL.

KUNSTHISTORISCHE WÜRDIGUNG DES APSIDALGEMÄLDES.

DIE Apside der altchristlichen Basilika
sowohl wie jene des romanischen
Kirchengebäudes, die wie ein Stück Himmels-
gewölbe von Osten her das Heiligtum des Altares
überdeckt, ist ein ganzes Jahrtausend hindurch
die vorzüglichste Heimstätte der kirchlichen Kunst
gewesen. Wenn man in manchen Fällen auch
die Hochwände des Mittelschiffs oder andere Teile
der Kirche mit Gemälden versah, so blieb doch ihr
stets der wichtigste Teil malerischen Schmuckes
gewahrt. Hier strahlt uns in allen ansehnlicheren
Kirchen mit überraschender Regelmäfsigkeit der
verherrlichte Welterlöser entgegen, umgeben mit
symbolischen Zeichen und historischen Gestalten.

Wie verhält sich das Reichenauer Apsidalbild
zu den verwandten Erscheinungen? Die Beant-
wortung dieser Frage wird uns in die Lage ver-
setzen, dasselbe kunstgeschichtlich zu würdigen
und zeitlich zu bestimmen.

Schon gleich der älteste Apsidenschmuck, von
dem wir Kunde haben, zeigt beachtenswerte
Übereinstimmungen mit unserem Bilde. Die alte
Peterskirche in Rom wies in der Mitte der
Apsis den thronenden Christus zwischen Petrus
und Paulus auf, während zu seinen Füfsen vier
Ströme, die Symbole der vier Evangelisten, ent-
flossen. In einem zweiten, schmalen Streifen
schritten, aus Bethlehem und Jerusalem kommend,
zwölf Lämmer einher, die Sinnbilder der Apostel *.

1 Vgl. für die ganze Übersicht, soweit Italien in Be-
tracht kommt: Max Gg. Zimmermann, Giotto und die Kunst

Nur wenig jünger war der Apsisschmuck in der
Basilika Severiana in Neapel: in der Mitte
Christus mit den zwölf Aposteln, darunter die vier
grofsen Propheten. In eigenartiger Weise pflegte
Paulinus von Nola die Halbkuppeln des Altar-
hauses zu schmücken. In der Kirche des hei-
ligen Felix bei Kola, die Paulinus zwischen
400 und 403 erstellte, nahm den Mittelpunkt ein
grofses von zwölf Tauben umsäumtes Kreuz ein;
darüber war die Hand Gottes sichtbar, und dar-
unter schwebte der Heilige Geist. Inmitten einer
blumigen Au stand das Lamm Gottes auf einem
Berge, dem sich von beiden Seiten je sechs
Lämmer näherten. In ganz derselben Weise
schmückte Paulin eine von ihm gestiftete Kirche
in Fondi. Ein Zeitgenosse dieses Bischofs von
Kola brachte in der Apside von S. Maria di
Capua vetere inmitten von Rankenwerk die
Muttergottes mit dem Kinde auf dem Schofse an.

Die bisher aufgezählten Mosaiken sind uns
im Original nicht überliefert, wohl aber ist
dies der Hauptsache nach der Fall bezüglich des
Apsisschmuckes von S. Pudenziana in Rom
aus dem Ende des 4. Jahrhunderts. Im Vorder-
grunde des himmlischen Jerusalems und über-
strahlt von einem glänzenden Kreuz thront der
Lehrer der Welt, rechts und links umgeben
von seinen Aposteln und den Titelheiligen. Zum

Italiens im Mittelalter. I. Bd.: Voraussetzung und erste
Entwicklung von Giottos Kunst. Leipzig 1899, wo die
meisten Apsidalbilder mitgeteilt werden.

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