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IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten.

zunächst einer der Lebenden das Wort, um die fürchterlichen Totengerippe
zu schildern und daran die Mahnung zu knüpfen:

Tel serons nous, c'est chose fine;
II n'est riens vivans ki ne fine.

Darauf antwortet ihm der erste Tote, der im Leben nichts Geringeres
als Papst war:

. . . car au siecle fui pape.

Benefices ä tort donnai
Et vendi; mal' m'abandonnai
A ce; l'ame en fait le devoir;
Por coi ne vesqui-je de voir?
Mal laissai asne et pris ceval:
J'en perdi glore et pris ce val
ü Ii dolant sont arrive.

Im Anschluß daran bekennt der zweite Lebende in allgemeinen Redens-
arten seine eigene Sündhaftigkeit. Der zweite Tote gesteht von sich, daß
er im Leben Kardinal war:

Je fui au siecle cardonaus.

Onques ne mangeai cardons, naus, ,
Mais les melleurs morsiaus du monde.
J'en ai perdu le Heu du moude.

Dieses Bekenntnis weckt dem dritten Toten das Gewissen, er gesteht
seine Schwächen und bekennt, daß er der Notar des genannten Papstes war
und sein Amt schlecht verwaltet habe:

Je fui ä eil pape notaire;
Maint faus escris i fis di penne
Pour l'argent; moi f'ourrai de penne,
De vair, de gris; trop m'ai pare'
Pour coi escris j'onques par e
E en di, et apres, a las!

Mit dem Geständnis seiner Schuld verbindet er eine eindringliche Mahnung
an die Lebenden.

Auch das vierte Gedicht, aus derselben Zeit wie die vorigen, ist anonym
überliefert \ Ohne Einleitung ergreift der erste Lebende das Wort, um sich
und den Seinen zu predigen, daß die Hölle der Anteil derer sein werde, die
hienieden nicht für ihre Seele sorgen. Ähnlich predigtartig und farblos sind
auch die Reden der übrigen Lebenden und der drei Toten gehalten; aszetische
und religiöse Motive stehen überall im Vordergrund derart, daß der Verfasser
nur ein Geistlicher sein kann.

Die ausführlichste Darstellung findet die Legende im fünften und
jüngsten von Montaiglon2 mitgeteilten Text. Die Einleitung hat die Form
einer Vision, die ein Einsiedler hatte. Eingehend beschreibt er die grausige
Erscheinung der Toten; die Lebenden erscheinen hier zum erstenmal zu Pferd.

Der erste Tote fordert ganz wie ein Prediger die Lebenden auf, mit
Geduld seine Mitteilungen über das Sterben zu vernehmen. Dies sei so
schrecklich, daß die Verstorbenen gar kein Verlangen hätten, wieder lebendig
zu werden, um noch einmal sterben zu müssen. Er schließt seine Mahnung
mit den Worten:

Tels vous serez comme nous sonimes.

1 Montaiglon Blatt 33v ff.

2 Ebd. Blatt 37v ff.
 
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