42
IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten.
Im folgenden soll eine Zusammenstellung der künstlerischen Behandlung
unserer Legende versucht werden, wobei ich mich allerdings in der unan-
genehmen Lage befinde, manchmal von Zeichnungen und Bildern reden zu
müssen, die bisher noch gar nicht publiziert und nur mangelhaft beschrieben sind.
A. DIE LEGENDE IN HANDSCHRIFTEN UND IN HOLZSCHNITTEN.
I. Die Illustrationen zum vollständigen Legendentext.
Hierher gehören in erster Linie jene Pariser Handschriften 1 mit den ver-
schiedenen Legendenformen des Baudouin de Conde, Nicholes de Marginal und
der unbekannten Verfasser, wie sie Montaiglon in seinem Büchlein „Alpha-
bet de la mort de Holbein" publiziert hat. Am wichtigsten ist die Illustration
zum jüngsten Gedicht, das beginnt:
Ouvre tes yeux, creature chetive,
Vien voir les fais de la mort excessive 2.
Auf dem einen Blatt erscheinen die drei Lebenden zu Pferd in reicher
Jagdausrüstung; der Sprechende ist abgestiegen und hat die Rechte zum
Redegestus erhoben. Sein Falke hat sich zum Fluge erhoben, und das Pferd
bäumt sich erschreckt auf. Auf dem zweiten Blatte sieht man die drei Toten
in einem Garten unter Bäumen neben einem gotischen Kreuz. Der Eremit
sitzt betend in der rechten Ecke. In dieser Form ist die Legende und die
Illustration in die erweiterte Form der Dance macabre vom Jahre 14858
aufgenommen worden und erscheint von da an in fast allen Neudrucken4,
während die ursprüngliche Fassung des Pariser Totentanzes in der Ausgabe
des Guyot Marchant wie auch die deutschen Totentanzhandschriften unsere
Legende nicht kennen 5.
Nach Longperier 6 weist das Manuskript 6988 2-2 der Pariser National-
bibliothek, aus dem Montaiglon die Legende nach Baudouin de Conde ent-
nahm, als Vignette drei Frauen im Gespräche mit drei Toten auf. Leider ist
das Bild nicht ediert. Dagegen teilt der genannte französische Archäologe
aus einem dem Anfang des 14. Jahrhunderts angehörigen Manuskript Nr 125
der Arsenalbibliothek zu Paris, worin die „Dits des trois vifs et des trois
morts" in der Aufeinanderfolge, wie sie Montaiglon abdruckt, enthalten sind,
eine sehr geschickt gezeichnete und kolorierte Miniatur mit, in der ebenfalls
drei jugendliche, anmutige Frauengestalten den drei Toten gegenübertreten7.
Die erste Dame trägt einen Falken auf der Linken und faßt mit der Rechten
nach ihrer Gefährtin; die dritte ringt verzweifelt die Hände, ohne daß in
ihrem Antlitz diese Gemütsstimmung zum Ausdruck kommt. Die drei Toten
stehen ruhig da, der erste mit einem blauen Mantel über den Schultern, der
' Beschrieben von Jubinal, Explieation
de la Danse des Morts de la Chaise-Dieu,
f'resque inedite du XV° siecle, Paris 1841,
8—9, und bei Montaiglon in seiner
Vorrede.
2 Montaiglon fol. 37v.
3 Gewöhnlich „La grande dance macabre"
oder „La dance macabre nouvelle" genannt,
worin neun Gestalten mehr erscheinen als
in der Ausgabe des Guyot Marchant von
1485.
4 Vgl. M a s s m a n n, Litteratur der Todten-
tänze, Leipzig 1840, 92 fi'. Der Holzschnitt
ist reproduziert von Baillieu, La grande
danse macabre, Paris o. J. (1860), und bei
Perger, Berichte und Mitteilungen 134—135.
5 Vgl. Massmann a. a. 0. 83 und Dufour,
La dance macabre; reproduction de l'edition
princeps donnee par Guyot Marchant (1485),
Paris 1891.
0 Revue archeologique II, Paris 1845, 243.
' Ebd. phnche XXXI.
IV. Die Legende von den drei Lebenden und den drei Toten.
Im folgenden soll eine Zusammenstellung der künstlerischen Behandlung
unserer Legende versucht werden, wobei ich mich allerdings in der unan-
genehmen Lage befinde, manchmal von Zeichnungen und Bildern reden zu
müssen, die bisher noch gar nicht publiziert und nur mangelhaft beschrieben sind.
A. DIE LEGENDE IN HANDSCHRIFTEN UND IN HOLZSCHNITTEN.
I. Die Illustrationen zum vollständigen Legendentext.
Hierher gehören in erster Linie jene Pariser Handschriften 1 mit den ver-
schiedenen Legendenformen des Baudouin de Conde, Nicholes de Marginal und
der unbekannten Verfasser, wie sie Montaiglon in seinem Büchlein „Alpha-
bet de la mort de Holbein" publiziert hat. Am wichtigsten ist die Illustration
zum jüngsten Gedicht, das beginnt:
Ouvre tes yeux, creature chetive,
Vien voir les fais de la mort excessive 2.
Auf dem einen Blatt erscheinen die drei Lebenden zu Pferd in reicher
Jagdausrüstung; der Sprechende ist abgestiegen und hat die Rechte zum
Redegestus erhoben. Sein Falke hat sich zum Fluge erhoben, und das Pferd
bäumt sich erschreckt auf. Auf dem zweiten Blatte sieht man die drei Toten
in einem Garten unter Bäumen neben einem gotischen Kreuz. Der Eremit
sitzt betend in der rechten Ecke. In dieser Form ist die Legende und die
Illustration in die erweiterte Form der Dance macabre vom Jahre 14858
aufgenommen worden und erscheint von da an in fast allen Neudrucken4,
während die ursprüngliche Fassung des Pariser Totentanzes in der Ausgabe
des Guyot Marchant wie auch die deutschen Totentanzhandschriften unsere
Legende nicht kennen 5.
Nach Longperier 6 weist das Manuskript 6988 2-2 der Pariser National-
bibliothek, aus dem Montaiglon die Legende nach Baudouin de Conde ent-
nahm, als Vignette drei Frauen im Gespräche mit drei Toten auf. Leider ist
das Bild nicht ediert. Dagegen teilt der genannte französische Archäologe
aus einem dem Anfang des 14. Jahrhunderts angehörigen Manuskript Nr 125
der Arsenalbibliothek zu Paris, worin die „Dits des trois vifs et des trois
morts" in der Aufeinanderfolge, wie sie Montaiglon abdruckt, enthalten sind,
eine sehr geschickt gezeichnete und kolorierte Miniatur mit, in der ebenfalls
drei jugendliche, anmutige Frauengestalten den drei Toten gegenübertreten7.
Die erste Dame trägt einen Falken auf der Linken und faßt mit der Rechten
nach ihrer Gefährtin; die dritte ringt verzweifelt die Hände, ohne daß in
ihrem Antlitz diese Gemütsstimmung zum Ausdruck kommt. Die drei Toten
stehen ruhig da, der erste mit einem blauen Mantel über den Schultern, der
' Beschrieben von Jubinal, Explieation
de la Danse des Morts de la Chaise-Dieu,
f'resque inedite du XV° siecle, Paris 1841,
8—9, und bei Montaiglon in seiner
Vorrede.
2 Montaiglon fol. 37v.
3 Gewöhnlich „La grande dance macabre"
oder „La dance macabre nouvelle" genannt,
worin neun Gestalten mehr erscheinen als
in der Ausgabe des Guyot Marchant von
1485.
4 Vgl. M a s s m a n n, Litteratur der Todten-
tänze, Leipzig 1840, 92 fi'. Der Holzschnitt
ist reproduziert von Baillieu, La grande
danse macabre, Paris o. J. (1860), und bei
Perger, Berichte und Mitteilungen 134—135.
5 Vgl. Massmann a. a. 0. 83 und Dufour,
La dance macabre; reproduction de l'edition
princeps donnee par Guyot Marchant (1485),
Paris 1891.
0 Revue archeologique II, Paris 1845, 243.
' Ebd. phnche XXXI.