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2. Die Lösung des Rätsels.

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zum Sterben abgeführt werden, während das Tanzmotiv nur die äußere, aber
bald fast allgemein beliebte Form ist, so kann als Heimat des Totentanzes
nur jenes Land in Betracht kommen, wo die Legende der drei Lebenden und
der drei Toten, aus welcher ja sein wesentlicher Inhalt stammt, in monu-
mentaler Darstellung am allgemeinsten verbreitet war. Das ist aber das
nördliche Frankreich. Der Literaturhistoriker wird von vornherein geneigt
sein, dieser Anschauung zuzustimmen, da er weiß, daß fast alle Stoffe der
höfischen Epik, der Lehrgedichte, Novellen und Schwanke seit dem 13. Jahr-
hundert der deutschen Literatur von hier zufließen; und auch der Kunst-
historiker wird kaum Einwände erheben, wenn er erwägt, daß die deutsche
Architektur und Plastik im 13. und 14. Jahrhundert im mittleren und nörd-
lichen Frankreich ihren Nährboden hat. Sollte es für das Gebiet der Malerei
anders gewesen sein? Hier liegen die Verhältnisse nicht so klar zu Tage,
und man darf nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung nicht allgemein
von einem Abhängigkeitsverhältnis der deutschen Malerei von der französischen
in der genannten Zeit reden. Aber gerade für die Gegend, auf die es uns
hier zunächst ankommt, den Oberrhein, hat die neuere kunstgeschichtliche
Forschung Resultate gezeitigt, die vielleicht geeignet sind, auf die Frage nach,
der Herkunft der oberdeutschen Totentanzbilder, die nach Form und Text
den Eindruck erwecken, als wären sie eine indigene Erscheinung des Ober-
rheins, einiges Licht zu werfen.

Seelmann hat meines Erachtens überzeugend nachgewiesen, daß ein
altfranzösischer Totentanztext als gemeinsamer Stammvater einerseits der
altspanischen Danza general und anderseits des niederdeutschen Totentanzes
anzunehmen sei, und Goette1 hat gezeigt, daß der Maler des Lübecker
Bildes, von dem alle übrigen niederdeutschen abhängig sind, das Pariser oder
ein ihm in allen Stücken gleiches Bild kannte und nach dem Gedächtnis oder
einer Skizze benutzte. Aus Spanien sind keine Totentanzbilder bekannt ge-
worden, und die sieben englischen Zyklen 2 sind so mangelhaft erhalten, daß
sie stilkritisch nicht mehr verwertet werden können; wohl aber wird uns
ausdrücklich überliefert, daß der englische Totentanztext bald nach 1425
durch den Dichter John Lydgate nach der Pariser Dance macabre
bearbeitet worden ist.

Lassen sich auch zwischen Frankreich und dem Oberrhein überhaupt und
bezüglich der hier verbreiteten Totentänze insbesondere greifbare Zusammen-
hänge nachweisen? Die Bemerkung Stiaßnys3 ist gewiß richtig: „Daß die
Rheinschwaben vor allem dem Einfluß der beweglicheren Nachbarkunst unter-
lagen und seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ,opere francogeno'
nicht nur gern gebaut und gemeißelt, sondern gelegentlich auch gemalt haben,
ist durchaus erklärlich. Der rege Handelsverkehr der Bodenseegegend mit
Frankreich, Basels Diözesanverband mit Besancon, die politischen Beziehungen
der Westschweiz zur Freigrafschaft, der Glanz der burgundischen Hofkunst
lockten die jungen Gesellen aus dem obern Rheintal in das Stammland der
Gotik, bevor die Flandern- und Italienfahrten aufkamen."

Viel wichtiger als diese allgemeinen Sätze sind die Einzelnachweise bei
Daniel Burckhardt in seinen Studien zur Geschichte der altoberrheinischen
Malerei 4.

1 Holbeins Totentanz und seine Vorbilder 61.

2 Vgl. See]mann, Die Totentänze des
Mittelalters 54—55.

3 Jahrbuch der kgl.-preuß. Kunstsamm-
lungen XXVII 288.

4 Ebd. 179 ff.
 
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