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AN JAKOB BÜRCKHARDT IN BASEL.

Ich wollte Dir, mein lieber Freund, mit kurzen Worten sagen,
was zu sagen am Eingange dieses Buches ein wenig Noth thut.
Doch wird es mir heute fast schwer. Blicke ich aufwärts vor mich
hin, wie man es pflegt, wenn man über ein Ding nachdenkt, so
haftet mein Auge immer wieder an dem Moses von Michelangelo,
der über dem Schreibtische steht; da klingt mir der Spruch des
Altmeisters Vasari im Ohr, dass man den Moses jetzt mehr wie je
einen Liebling Gottes nennen könne, da er ihm vor allen Andern
den Leib durch die Hand des herrlichen Michelangelo zur Auf-
erstehung habe bereiten wollen; und die „immortal forma" des
Moses scheint all der kleinen Nöthe zu spotten, die ich gehabt, um
zum Begriff der Kunst und ihres Werdens zu gelangen, und von
«lenen dies Buch mancherlei Zeugniss in sich trägt. Blicke ich zur
Seite, so streift die Sonne das Rebengezweig draussen am Fenster,
dass das Grün goldig schimmert und einen Rahmen für die Aussicht
in den Park bildet, wie ihn der kunstreichste Vergolder nicht schöner
hätte machen können. Und durch das offne Fenster herein kommt
Lindenblüthenduft und Pfeifen und Schmettern von allen Zweigen.
Der Pirol wiederholt mit unverwüstlicher Geduld seinen wunderlich
eintönigen Lockruf, als wüsste er's, wie oft ich als Knabe mit seinen
Verwandten Zwiesprach gehalten, dass sie von Baum zu Baum und
von Ast zu Ast näher herankamen und mir's verstatteten, mich am
Anblick ihres goldglänzenden Gefieders zu erfreuen.

Aber ich habe Dir nicht von meinem heurigen Landaufenthalte
zu erzählen; ich habe Dir von dem Buche, an welches ich hier die
letzte Hand gelegt, eine kurze Rechenschaft zu geb«n. Sei es denn,
»o gut sich's heute, da das Ganze endlich druckbereit vor mir liegt
und an den Abschluss mahnt, thun lassen will!

Du hast, mein lieber Freund, manches Mal gelächelt, wenn ich
Dich von meinen bunten Plänen unterhielt; Du weisst, wohinaus
 
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