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Kugler, Franz
Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte: mit Illustrationen und andern artistischen Beilagen (Band 2) — Stuttgart, 1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.2221#0363
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360 Berichte und Kritiken.

sondern mit den erhabenen Theilen anfing und schloss. Wichtiger aber
noch war die Plastik der Gruppirungen, sowohl im Verhältniss der Schau-
spieler auf der Scene zu den Choreuten in der Orchestra, als bei den letz-
tern selbst, wenn sie sich, iu wechselnder Bewegung, auf den Stufen der
Thymelc emporreihten. Von entschiedenster und grossartigster Wirkung
aber — wenigstens auf mein Gefühl — war es, dass man die (zunächst
von Genelli ausgeführte) Anordnung getroffen hatte, ausser den Personen,
welche unmittelbar aus dem königlichen Palast .auftraten oder dahin zu-
rückkehrten, alle übrigen seitwärts in die Orchestra eintreten und über
jene Treppe erst die Scene besteigen, und ähnlich wieder abgehen zu
lassen. Durch diese Verlängerung des Ganges (statt des kürzern aus der
Seitendekoration der Scene) ward den einzelnen Gestalten zur Entwickc-
lung ihrer verschiedenartig charakteristischen Eigentümlichkeit genügend
Baum geboten, und vornehmlich gab das Auf- oder Absteigen der Treppe
die interessantesten Motive für eine künstlerische Bewegung des Körpers
und der Gewandung; dies Alles sowohl, wenn die bezüglichen Personen
allein die Aufmerksamkeit des Beschauers in Anspruch nahmen, als vor-
nehmlich, wenn sie sich einer grösseren Gruppirung einreihten, und wenn
ihr Auf- oder Abtreten sich in die dramatische Handlung unmittelbar ver-
flocht. So konnte man es aufs Lebhafteste mitfühlen, als Antigone nach
dem Schluss der ersten Scene, noch vor dem Auftreten des Chores, mit
dem Kruge auf dem Haupte einsam von der Bühne hinabstieg und einsam
die Orchestra durchschritt, den Leichnam des Bruders, der vor dem Thore
der Stadt lag, zu bestatten; so war das traurig zögernde Auftreten des
Hämon, die ernste Erscheinung des blinden, von seinem Knaben geführten
Tiresias von der bedeutendsten Wirkung; noch mehr der Abgang des Ti-
ranas, als er, noch von den Stufen der Treppe, die unheilverkündenden
Worte gegen Kreon emporrief, während dieser tiefer und tiefer sich in sei-
nen rotten königlichen Mantel verhüllte und der Chor erwartungsvoll im
Grunde der Orchestra stand; eben so das angstvolle Hinausstürzen Kreons
und seiner Diener, als er die schreekenvulle That des Sohnes vernommen,
das Hereintragen der Leiche des Hämon u. s. w. Alle diese Erscheinun-
gen, wie sie durch die bedeutsame Gliederung des Raumes und durch die
glückliche Benutzung derselben in's Leben traten, machten auf mich einen
Eindruck, etwa als ob ich die Statuengruppen im Giebel eines griechischen
Tempels in dramatisch belebter Bewegung vor mir gesehen hätte. — Gegen
einen wesentlichen Theil der Anordnung, welche man hiebei befolgt hatte,
hat sich aber bald nach der Aufführung die sehr entschieden missbilligende
Stimme eines unserer hiesigen Archäologen vernehmen lassen. Tölken
hat in mehreren Aufsätzen, die gleichzeitig in zweien der hiesigen Zeitun-
gen erschienen (die ausserdem auch bereits, mit Aufsätzen von Böckh und
F. Förster vermehrt, in einer besondern Brochüre abgedruckt sind), die
Ansicht durchgeführt, dass die Schauspieler und die Choreuten in der
griechischen Tragödie räumlich stets streng von einander getrennt gewesen
seien, und dass namentlich die ersteren nie über die Orchestra, sondern
stets aus den Seiten der Decoration der Scene, aus den Coulissen, aufge-
treten seien. Er führt seine Opposition vornehmlich gegen das bekannte
Wrerk von Genelli (das Theater zu Athen) durch und bemüht sich, das
Unhaltbare in Genelli's Ansichten nachzuweisen. Doch scheint es, dass
Tölken's Kritik im Wesentlichen mehr gegen einzelne Willkürlichkeiten
in den von Genelli entworfenen Restaurationen, als gegen das PnnzIP>
 
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