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210 Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse der Kunst zum Leben.

Gegenwart herantreten und dieses sodann in liebevoller Umfassung wieder
zur Einfalt, Natürlichkeit und zu dem Ebenmaasse zwischen Geist and
Gestalt zurückleiten soll. Und hat es die Philosophie an sich mit der
körperlosen Region des Geistes zu thun, so steht sie doch, wenn sie nicht
ein leeres Trugbild ist, wiederum in nächster Beziehung zum Leben, und
ihre Bestimmung ist eben die Läuterung und Verklärung des Lebens. Sie
kann also, in dieser vorausgesetzten thätigen Rückwirkung auf das Leben.
auch auf die Kunst nicht anders als kräftigend einwirken und muss viel-
mehr dazu dienen, die Bedeutsamkeit des inneren Gehaltes derselben klarer
hervorzuheben, tiefer zu begründen. Auch die Mechanik, die ihren Werk-
zeugen und Produkten freilich nicht immer eine künstlerische Gestaltung
verstattet, steht ebenso wenig im Widerspruche zur Kunst; sie muss im
Gegentheil dazu behülflich sein, die technischen Mittel, deren die Kunst
bedarf, zu vervollkommnen, wie man ihr in der That bereits in den unter-
geordneten Kreisen der Kunst so bedeutende Hülfsmittel und Fordernis
verdankt. Beide bedingen nicht das Vorhandensein der Kunst, aber beide
sind ebenso wenig im Stande, alle Kräfte des Geistes an sich zu ziehen.

Wenn indess die künstlerische Thätigkeit der Gegenwart den'vergan-
genen grossen Kunstepochen für jetzt weder an Breite noch an Tiefe
gleichzustellen ist, so darf gleichwohl der Wunsch, einem solchen 7M(
nachzukommen, eine gute Stätte finden. Wo die Anzeichen eines so starke"
Lebensdranges, wie in der gegenwärtigen Kunst, hervorgetreten sind, da
ist es Pflicht, auf das Wesentlichste und Bedeutendste für dessen Fort-
schritt und Vollendung aufmerksam zu machen. Betrachten wir zunäen='
das Verhältniss, in welchem die Kunst zu den gemeinen Bedürfnissen des
Lebens steht.

Wir haben es keinesweges zu läugnen, dass sich im Allgemeinen ei
guter Geschmack zu verbreiten beginnt, uud dass die Musterbilder
Vorzeit häufig mit Geschick und kunstverständiger Auswahl benutzt werde ^
Doch macht das bunte Spiel dieser Formen auf den Beschauer noch nie
jenen edleren, wohlthuenden Eindruck, welchen z. B. durchweg die l
räthe des klassischen Alterthums hervorbringen. Es fehlt dabei vor AI
eine sichere Richtung, das höhere, bestimmende Gesetz eines gememg»
tigen Styles, welcher der Ausdruck eines gemeinsam bewussten Form
sinnes wäre und diesen vor den wankelmüthigen Einflüssen der 1 wj
schützen könnte. — Dieser Uebelstand scheint zunächst besonders i"

der
der

Trennung des Handwerkes von der Kunst zu liegen, welche U>
neueren Zeit, wie in den früheren Epochen nie, hervorgetreten ist-
Kunst hat sich von dem Boden losgerissen, welcher ihr früher «^
sicheren Anhaltspunkt gewährte, sie hat sich in eine gesonderte Ke8
emporgehoben, das nah verwandtschaftliche Verhältniss zu dem «e .^
des Handwerks verschmähend, von dem sie ebenso sehr, wie siepicsf
Schwung und Belebung zuertheilte, gestützt und getragen ward.
Trennung schreibt sich, wenn ich nicht sehr irre, vornehmlich ausU ^
eklektischen Periode des siebzehnten Jahrhunderts her, in welc»P*
Grundsatz aufgestellt und, so gut es anging, ins Leben eingeführt ^
dass man nach Schulregeln ein Genie bilden, nach Schulregeln ein g ^
Werk erzeugen könne. Von dieser Zeit an glaubte man, falls »
 
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