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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 66.1915-1916

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Braungart, Richard: Kriegsgraphik von Julius Diez
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https://doi.org/10.11588/diglit.7140#0009
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ist) für die Gegenwart an Interesse verloren hätte.
Denn das Künstlerische ist bei allen diesen Zeich-
nungen so stark und beherrscht das Stoffliche, in-
dem es ihm dient, so vollkommen, daß ihr wert
auch durch den Wegfall ihrer Aktualität nicht ge-
mindert werden kann. Ls braucht wohl nicht be-
tont zu werden, daß diese Feststellung so ungefähr
das höchste Lob enthält, das man Arbeiten dieser
Art spenden kann.

In den letzten Jahren war Diez durch malerische
Pläne und Arbeiten so sehr in Anspruch genommen,
daß die rein zeichnerische Tätigkeit, auch die für
die „Jugend", mehr und mehr in den Hintergrund
trat. Und wer weiß, wie lange es noch gedauert
hätte, bis er wieder Gefallen daran gefunden
hätte, die Gebilde seiner anscheinend ganz mühe-
los produzierenden unerschöpflichen Phantasie an-
statt mit dem Pinsel mit der Feder zu fixieren.
Da kam der Krieg, und Diez fühlte sich plötzlich wie-
der als der Alte; nicht etwa nur, weil er wollte,
sondern weil er mußte, weil ihn die „Fülle der
Erscheinungen" dazu zwang, griff er zur Zeichen-
feder und offenbarte mit ihr, was ihm der große
Augenblick eingab. Ganz besonders die ersten
Zeiten des Krieges, da selbst bei dem Gleichgültig-
sten noch jeder Nerv vor Erregung zitterte, waren
reich an Stoff und an Möglichkeiten, und so er-
eignete es sich wieder, daß fast jede Nummer der
„Jugend", wie einst in ihren Anfängen, eine
Schwarz-weiß-Zeichnung von Julius Diez enthielt.
Auch von diesen Arbeiten gilt, und vielleicht sogar
in verstärktem Grade, was eben über seine Bei-
träge für die älteren Jahrgänge gesagt worden ist.
Sie haben vor allem Stil, die wohlbekannte Hand-
schrift ihres Schöpfers drückt sich klar und unver-
kennbar in jeder Linie aus, und wieder sind diese
Blätter weit mehr als für den Tag geborene und
mit dem Tag vergessene Randnotizen. Diez gibt
den Extrakt, den dreimal gesiebten Reinertrag jeder
möglichen Satire, und einige von diesen Zeich-
nungen sind in der Verdichtung (Zusammenpres-
sung) von Stimmungen und Empfindungen so
weit getrieben, daß in ihnen die dauernde Formel
hiefür gefunden zu sein scheint. Jedenfalls hat
man es hier durchaus mit künstlerischer Zeitsatire
großen Stils zu tun, und es ist, gerade in einer
Periode der Geringschätzung wirklich fundierten,
gediegenen zeichnerischen Könnens gewiß nicht der
geringste Vorzug dieser Arbeiten, daß sie zeichne-
risch vollkommen auf der pöhe ihrer geistigen
Oualitäten (und umgekehrt) stehen. Gesammelt in
einer Mappe oder in einem Album, müßten sie
eine Dokumentenreihe zur inneren und äußeren

Geschichte dieses Krieges geben, die schon deshalb
ihrer Wirkung stets sicher wäre, weil auch der Kunst-
fremdeste die vollkommene parmonie von Form
und Inhalt, von willen und Können in dieser
Kunst empfände.

Wenn ich nun daran gehen soll, einzeln besonders
gelungene „Nummern" dieser Serie schildernd zu
erklären, so will sich etwas in mir dagegen auf-
lehnen; denn eine Kunst, die so deutlich und klar
zum Beschauer spricht, braucht eigentlich gar keinen
Kommentar, der sich doch nur wie eine lange Er-
läuterung zu einem kurzen Witz anhören müßte.
Freilich: man könnte mit einigem Recht entgegnen,
daß gerade eine so eminent persönliche Ausdrucks-
weise wie die von Julius Diez nicht jedem ohne
weiteres verständlich sei und deshalb eine Deutung
wohl vertragen könne. Aber es geht hier wie mit
jeder Kunst, die, ohne ins Unbestimmte abzuirren,
eigene Wege wandelt: sie trägt den Schlüssel zu
ihrem Verständnis stets bei sich, und wer sich die
Mühe nicht verdrießen läßt, ein bischen zu suchen,
der wird ihn finden, und rascher sogar, als er
selbst gehofft hat. Im übrigen geben ja auch die
Texte, die unter den Bildern stehen, Anhaltspunkte
genug, und jedem verständigen Betrachter wird es
ohnehin darum zu tun sein, über das Gegen-
ständliche so bald wie möglich zum Künstlerischen
vorzudringen. Daß dies recht gut ohne ein Wort
der Erklärung möglich ist, hat unlängst eine künst-
lerische Fachzeitschrift bewiesen. Diesem Blatt war
die Veröffentlichung einer Reihe von Plakaten nur
unter der Bedingung gestattet worden, daß keiner-
lei Kritik irgendwelcher Art daran geübt werde.
(Nebenbei bemerkt ein verlangen, das von sehr
geringem Selbstvertrauen zeugt.) So geschah es
denn auch, und obwohl also die Beschauer fast
nur auf sich allein und ihren Scharfsinn angewiesen
waren, dürfte doch kaum einer über die Bedeu-
tung der einzelnen Darstellungen im Zweifel ge-
blieben sein. Und es gab da sicherlich mehr Rätsel
zu lösen wie bei den Diezschen Kriegszeichnungen.
Eine Angelegenheit für sich bleibt es, welche der
hier wiedergegebenen Blätter man für die besten
anfehen will. Wenn ich persönlich die „wage der
Schlacht", die „Englische Spinne", die „Fremden
Vögel", den „Wegweiser" und den „Gott des
Profits" („Britischer profithunger" nicht zu ver-
gessen!) dafür halte, so braucht das für nie-
manden bestimmend zu sein, wobei ich mir freilich
bewußt bin, daß viele im großen und ganzen ähn-
lich empfinden wie ich. Sind doch in den genannten
Arbeiten alle Vorzüge der Diezschen Zeichenkunst
vereinigt, und die Originalität seiner Phantasie

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