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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Karlinger, Hans: Aus der Geschichte des deutschen Glases
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0005
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Mus -er Geschichte -es -eutschen Glases

von Hans Rarlinger

Die Geschichte des europäischen Glases seit dem
Erlöschen der antiken Tradition, d. h. etwa seit
dem fünften Jahrhundert, hat sich nach zwei
prinzipiell verschiedenen Richtungen bewegt h.
Die ältere Epoche ist die der Form: die kunst-
gewerbliche Hauptrolle spielt der Werkstoff, d. h.
die Glasmasse, und dessen naturgemäße Ver-
arbeitung, so, wie sie die Eigenschaft der heiß-
flüssigen Masse verlangt. Das Formen des Kör-
pers und die Ausgestaltung des Zierats geht durch
die primitivste und zugleich wesentlichste Hand-
habung des Glasarbeiters: durch das Blasrohr,
vor sich. Innerhalb dieser Periode, die mit mehr
oder weniger unentwickelten Erzeugnissen im Be-
reich des gesamten gallisch-germanischen Kultur-
kreises in Westeuropa unter den Merowingern
einsetzt, hat nach dem Verlauf eines Jahrtausends
und wohl nicht ohne starke formale und technische
Einflüsse von seiten des Orients — vor allem
Syriens und Persiens — Venedig-Murano die
unbeschränkte Meisterschaft erlangt. Die jüngere
Epoche, welche die Formkunst der Muranesen erst
langsam, aber seit dem f8. Jahrhundert voll-
ständig aus dem Felde schlug, ist die des Gber-
flächendekors. Sie macht sich die Eigenschaften
der Masse, die in Murano für alle Zeiten am

i) vgl. namentlich Robert Schmidt, Das Glas, Berlin
(Handbücher der llgl. Museen zu Berlin), woselbst die
ganze Literatur. — Die Kopfleiste über dem Titel zeigt
deutsche Gläserformen des Z5. Jahrhunderts (Maigelein, Kraut-
strunk, Spechter und Tintenglas) nach Philipp Schwarz,
Gläserformen, München zyzs. Verlag H. Helbing. — Die
Abbildungen auf Seite 9—zs wurden nach Objekten der
ehem. Sammlungen Schwarz - Stuttgart und M. Seligmann-
Aöln gefertigt mit gütiger Erlaubnis der Galerie h. Helbing
in München.

vollendetsten fabriziert worden war, nur zunutze,
soweit es ihren Zwecken dienlich erscheint. Sie
drückt ferner die bis dahin ausschlaggebende Arbeit
des Formers — angesichts der Muraneser Glanzstücke
des fs.—l.6. Jahrhunderts müßte man sagen, des
Formkünstlers—zur untergeordneten Leistung herab,
sozusagen zum Werkstoff. Die künstlerische Betäti-
gung übernimmt der Dekorateur mit dem Schleis- und
Schneiderad. Die Formen der zweiten Periode wer-
den gegenüber dem Venezianer Glas an Erfindungs-
gabe und Mannigfaltigkeit fast arm; die künstlerische
Ausgestaltung der Oberfläche •— eine bis dahin
unbekannte Möglichkeit •— drängt alles andere
in den Hintergrund. Der Glaskünstler ist nicht mehr
der Former mit dem Blasrohr, sondern der Schleifer
mit dem von der Edelsteinbearbeitung entlehnten
Schneide- und Schleifzeug. Der Schleifer besorgt
die grobe Arbeit, die Herstellung der geometrischen
Formen, wie Fassetten, Kugeln und Buckel, Ro-
setten u. a. Der Glasschneider mit dem im \7.
und H8. Jahrhundert vielfach verbesserten Schneide-
rad liefert die Feinarbeit, vorwiegend als Hoch-
oder Tiefschnitt (positives oder negatives Relief).
Die Frühzeit bevorzugt im allgemeinen das Hoch-
relief; der Tiefschnitt mit seinen hohen maleri-
schen Eigenschaften entwickelt sich etwa \720.
Der Dberflächendekor hatte bis zur Zeit Kaspar
Lehmanns, des Prager Steinschneiders, d. h. bis
zur Mitte des t?. Jahrhunderts — von einigen,
nicht in Europa heimischen Werken, abgesehen —,
ausschließlich in dem Herstellen aus der heißflüssigen
Masse gebildeter Zierkörper bestanden. Die Heimat
der Kunstrichtung dieser zweiter: Periode ist Deutsch-
land, und den höchsten Rang auf dem Felde der
Glasschneidekunst haben Böhmen, Schlesien und
schließlich Preußen erreicht.

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KunjJ und Handwerk. 68. gahrg. !„ vierteljahrsheft.
 
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