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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Wolf, Georg Jacob: Ausstellung des Bayerischen Kunstgewerbevereins im Münchner Glaspalast 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0076
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Musstellung -es öaperisthen Runstgewerbevereins
im Münchner Glaspalast 1918.

von vr. Georg Jakob Wolf.

Auch an der Ausstellung (9)[8 beteiligte sich der
Bayerische Kunstverein und bot mit seinen drei
Räumen wiederum eine freundliche Insel in dem
Bilderozean des Glaspalastes. Unbedenklich muß
man zugestehen, daß im vergleich mit der Aus-
stellung des Vereins im Jahre 19 die dies-
jährige eine Minderung des günstigen Gesamt-
eindruckes brachte. Das lag jedoch nicht an den
gezeigten Einzelgegenständen, von denen keiner
unter einem gewissen tüchtigen Durchschnitt zurück-
blieb und unter denen sich sogar manches vor-
treffliche Stück befand. Der Grund ist vielmehr
darin zu suchen, daß die diesmal von der Aus-
stellung überlassenen Räume in Beleuchtung und
Ausmaßen weniger günstig waren und eine luftige
und wirkungsvolle Ausstellung und Gruppierung
der Ausstellungsgegenstände sehr erschwerten, so-
dann in dem Fehlen einer Reihe vortrefflicher
Kunsthandwerker und Firmen, die entweder in-
folge Einziehung des Leiters oder der Arbeiter
zum Heeresdienst oder aus Mangel an Rohstoffen
zur Ausstellung nicht beitragen konnten. Es lag
also ein Hauch der Ariegsmäßigkeit über der dies-
jährigen Veranstaltung, der bei ihrer Bewertung
in Rechnung gesetzt werden muß. Indessen ge-
stehen wir es ehrlich ein: die hochgespannten An-
forderungen, welche die neue Zeit an den Verein
und seine Mitglieder wie an die gesamte deutsche
Qualitätsarbeit stellen wird, und der daraus resul-
tierende heftige Konkurrenzkampf setzen künftig-
hin erhöhte Anstrengungen der Aussteller voraus,
und die Leistungen weiterer Ausstellungen müssen
noch besser und stärker, unmittelbar und packender
sein. An dieser Stelle hat vor einiger Zeit
I. I. Scharvogel die gute und richtige Feststellung
getan, daß vielen kunstgewerblichen Arbeiten un-
serer Zeit der „Gemütswert" mangle, und daß
sie darum mit „Altertümern," nach denen heute
so gierig gefahndet wird, nicht in Wettbewerb
treten können, obwohl ihnen diese in Einblick auf
technisches Können oft weit unterlegen seien.
Diesem Eindruck konnte man sich auch manchen
Arbeiten der Ausstellung gegenüber nicht ver-
schließen. Ganz gewiß waren sie tüchtig, ja
manchmal geradezu virtuos gearbeitet und machten
der technischen Tradition alle Ehre; zweifellos be-
saß jedes zugelassene Stück den Grad von (Duali-

tät, der es zu Recht vor der Aufnahme-Jury
bestehen ließ, aber es erwies sich bei wieder-
holter Betrachtung zu verschiedenen Zeiten, daß
das Interesse nachließ, daß es nur Reiz, nicht
immer wert war, was einen zuerst zu dem Gegen-
stand zog. Unter Gemütswert, der natürlich nur
dem handgearbeiteten kunstgewerblichen Einzel-
gegenstand eigen sein kann, verstehe ich die ma-
gische Kraft eines Gbjekts, sich dem Besitzer un-
entbehrlich zu machen, ihm lieb und teuer zu
werden wie irgendein lebendes Wesen, gewisser-
maßen einen Zuwachs seiner Persönlichkeit zu
bilden. Der Gemütswert von Werken der freien
Kunst steht außer Frage: wer hätte nicht von
Tizians Dornenkrönung, von Böcklins Toten-
insel, von Liebls Dorfpolitikern (absichtlich wähle
ich drei weit auseinander liegende Beispiele) den
tiefsten Eindruck, eine Steigerung seines Lebens-
gefühls, nachhaltigen seelischen Gewinn davon-
getragen? warum sollten der angewandten Kunst,
dem Kunstgewerbe solche Auswirkungen versagt
sein? Sie müßten im Gegenteil, wenn auch nicht
stärker, so doch intimer sein, denn das Verhält-
nis zu jenen Bildern muß immer ein entsagendes
sein, hier aber kann das Moment des Erwerbs,
des Besitzes und Eigentums hinzutreten. Man
darf nicht einwenden, daß der Fall beim Kunst-
gewerbe schwierig liege, daß es mit dem freien
Kunstwerk überhaupt nicht in Wettbewerb treten
könne, da seine Grundbedingung und Voraus-
setzung die Zweckmäßigkeit und sein hervorstechen-
der Ausdruck die konstruktive Form sei, damit
aber Stimmungs- und Gemütswert von vorn-
herein ausgeschlossen seien. Dieser Einwand ist
nicht stichhaltig. Die ganze Architektur z. B. ist
selbstverständlich auf die konstruktive Form ge-
gründet und doch kann es nur einem Menschen
ohne Gefühl beikommen, den Stimmungswerl
des Parthenons, der gotischen Dome, der St. peters-
kirche in Rom, der Danziger Bürgerbauten des
Barock usw. in Abrede zu stellen.

Das also ist es, was man künftighin unserem
Kunstgewerbe im allgemeinen und seinen Aus-
stellungen, diesen berufensten Veranschaulichungen
seiner besten Leistungen, wünschen und von ihnen
verlangen muß: Verinnerlichung, Empfindungs-
steigerung. Mit der technischen Bravour ist es

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