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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Zukunftsgedanken zum Kunsthandwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0075
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Aukunstsgeöanken zum Runsthanöwerk.

Man hört heute fast schon zu oft Behauptungen,
die dem Kunsthandwerk eine schlechte Zukunft pro-
phezeien. Politische, soziale, industrielle Konstel-
lation, kurz alles wird herangezogen, was die
Anschauungswelt von gestern zu stützen scheint.
Im Gegenteil, wer heute die mächtige und all-
gemeine Sehnsucht zur Verinnerlichung, zur Lin-
kehr bei sich selbst, zur Linstellung des Menschen
auf den Träger der sozialen Urform, der Familie,
nicht fühlt, dem ist nicht zu helfen.

Auf eine innere Wandlung unseres Daseins kommt
es an. Daß auch die größten Machterfolge poli-
tischer Natur der Kunst nichts zu geben vermögen,
das zeigt die Zeit nach *870. Seien wir aufrichtig!
Ghne irgendeinem ehrlichen wollen unrecht zu tun,
welche Zeit war ärmer an künstlerischem Eigen,
welche war künstlerisch wesenloser als die Induftrie-
generation der achtziger und neunziger Jahre,
wir staunen heute ein Biedermeierzimmer an in
seiner geschlossenen Wohnlichkeit, wir bewundern
die gediegene Beschränkung auf das Material, die
Einheitlichkeit eines einfachen, oft fast nüchternen
Mobiliars, die Lmpfindungssicherheit, Rasse seiner
formen, die Geschlossenheit, mit der sich alles fügt,
vom Haus mit seiner ausgesucht echten, auf den
Sinn und Zweck der Familie eingestellten Anlage
bis zum Bild an der wand. Aber wir vergessen
zumeist, daß die Zeit, die solche Dinge schuf, nicht
in erster Linie Massengewinne einholen wollte.
Daß es zur Zeit des alten Goethe und der jungen
Romantiker noch keine Ausstattungsfirmen gab,
die Hunderttausende ausgeben für den einen Re-
kord: das allerneueste, alleraktuellste einem rasch-
lebigen, durch den Allerweltsverkehr abgestumpften,
in der Hetze um ein Machtproblem, sei es Geld
oder anderes, nervenerschüttertem Publikum dar-
zubieten. wir vergessen, daß die alte Einrichtung,
die wir heute durch dazu gelernte „Innenraum-
künstler" nachschaffen lassen, von einfachen Zunft-
meistern gemacht wurden, die in erster Linie nicht
programmatische Theoretiker, sondern Menschen
waren, die selber ebensogut zu wohnen wie zu
leben wußten. Und heute, von hundert kunst-
gewerblichen Industrien werden noch keine fünf-
undzwanzig sein, wo der Betriebsleiter persönlich
Stellung zu den Erzeugnissen seiner Industrie
nimmt, wo er in dem Hausrat, den seine Firma

erzeugt und erzeugen muß, um dem Wettbewerb
standzuhalten, wohnen möchte.

Ja, vom Standpunkt des industriellen Absatzes be-
trachtet, können die Zeiten schlechter werden.
Aber das Kunsthanowerk ist doch nicht zuerst ein
Geschäft für Massenartikel, wird dem Kunsthand-
werker Zeit gegeben, aus sich zu schaffen, wird
ihm wieder die Ruhe gegeben, die ein nicht nach
ständiger Uberbietung hastendes Schaffen braucht,
so wird die Wohnlichkeit, das Gleichmaß zwischen
Mensch und Ding von selbst kommen. Sie muß
wieder kommen, denn der Künstler von heute ist
kein Haar kraftloser und unfähiger wie der von
ehedem. Aber er braucht Luft und Boden; er
braucht eine Heimat, und zwar zuerst für seine
Seele.

wieviel ^Kapital hat sich allein in den letzten
Generationen in die Begeisterung für altes Kunst-
gewerbe geflüchtet, wie breit konnte sich im Ge-
folge dieser Begeisterung die Imitationsindustrie
machen. Begreiflicherweise: wer einmal einen
alten Stuhl, einen Schrank, eine alte Porzellan-
figur in ihrem Wesen erkannt hat, dem muß der
Gegensatz zwischen wohnlich und unwohnlich in
die Augen fallen. Und die Nachfrage bestimmt das
Angebot. Das Sammeln alten Kunstgewerbes von
seiner idealsten Seite aufgefaßt — ich denke nicht
an die Auswüchse der Altertumshamsterei, des
Auktionssports u. dgl. — kann man keinem ver-
denken, dem es ein Bedürfnis ist, seinen Hausrat
als persönliche Sache, als Umgebung, mit der er
leben kann, zu besitzen. Soll diesem ärgsten aller
Irrwege im kunsthandwerklichen Leben der Boden
entzogen werden, so ist Grundbedingung, daß im
Menschen wieder der Mut zum eigenen Stil er-
wache, daß das Ich sich von seinem sentimentalen
Verhältnis zu der Vergangenheit frei mache, daß
die Stellung zum Historischen wieder historisch
werde. Das läßt sich aber nicht von heute auf
morgen zwingen, denn dazu braucht's den ganzen
inneren Menschen, dazu braucht's die Selbstbesin-
nung. Je mehr der Mensch wieder in sich zurück-
kehren wird — und dazu sind alle Ansätze vor-
handen —, je mehr er für sich und seinen Kreis
lebt, statt für den Alltag, um so freier macht er
dem wahren Künstler die Bahn. Gerade im
Kunsthandwerk.


Aunst und Handwerk. 68. Jahrg. vierteljahrsheft.

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