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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Rauecker, Bruno: Mode und Qualität
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0028
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die Schichten für sich ein, die in Muße und Behagen
das Neue, Wechselvolle lieben können: Adel
und Geistlichkeit, Fürsten und Ritterfrauen. Das
eigentliche. Zeitalter der Moden wird erst vom
Roi solleil geweckt. (Er stößt den Modeablauf
in jenes sinnverwirrend schnelle Zeitmaß hinein,
aus dem nur Pest und Krieg und andere Gefahren
lösen konnten. „La mode presse“ erzählt uns
Labruyöre... „une mode a ä peine detruit une
autre mode, qu’elle est abolie par une nouvelle,
qui cede elle-rnörne ä celle qui la suit et qui ne
sera pas la derni£re, teile est notre l^retS.“1 2)
Ihrer vollen Entfaltung steht auch jetzt noch die
Gliederung der Stände im Wege. Geistlichkeit,
Ritterschaft, Bürger und Bauern, in Sitten und
Gebräuchen auf sich selber eingestellt, bleiben in
ihrer Nachfrage stereotyp und regelmäßig. Auf
ihre Standesehre bedacht, fördern sie die Trach-
ten nach wie vor, richten den Bedarf aufs Bleibende,
fördern letzlich so die (Qualität.

(Es ist die (Eigentümlichkeit des Mittelalters, zu-
nächst nur für das Werk und dann erst für den
Markt zu schaffen. Jahre, Jahrzehnte vergingen,
ehe ein Stück, ehe auch nur der Teil eines solchen
vollendet wurde. Man hatte Zeit. Man diente
dem Auftraggeber, dessen Werk man schuf, aber
man diente damit nicht dessen einziger Person.
Man hatte Zeit, weil man in der Gemeinschaft
lebte. Die Stadt, die Kirche, das erbliche Geschlecht,
das Kloster, sie spannten den Rahmen, in den man
eingegliedert war und der nicht auseinanderfiel,
auch wenn der eine, der den Auftrag erteilt hatte,
längst dahingegangen war. Dies war der Efinter-
grund, auf dem die Oualität gedeihen konnte,
die nicht von den Launen und wünschen, die von
dem Zweck des Merkes einzig lebt.
Generationen, drei Jahrhunderte hindurch hat
die Familie Sacchi in Mailand an den Inkrustie-
rungen und Intarsien von Altarplatten gearbeitet^).
An den Altären von St. Jakob zu Pistoja und in
der Taufkirche zu Florenz sind mehr als t.50 Jahre
die Goldschmiede beschäftigt gewesen. Ghiberti
arbeitete mehr als 40 Jahre an den Toren des
Florentiner Baptisteriums, die „wert waren, die
Tore des „ Paradieses zu sein". Bauten von
Stadthäusern und Kirchen haben Jahrhunderte in
Anspruch genommen, gutes Hausgerät ist in
Jahren entstanden. Schränke, Intarsien, Thor-
stühle zeigen die Arbeit ganzer Geschlechterreihen,

1) Labruytzre, Caractferes De la mode, zitiert bei Sorn-
bart, Moderner Kapitalismus, 2. Auflage, Band, 5. 7§6.

2) Sombart, Moderner Kapitalismus, 2. Auflage, S. 7\2.

und galt es einen bedeutsameren Gegenstand, so
lösen Generationen einander ab. Das waren die
Zeiten, in denen Modeeitelkeiten unmöglich waren,
in denen das Leben des einzelnen nichts galt vor
dem Leben der Gemeinschaften im Volk. Das
war aber auch das große Geheimnis der Künste
jener Zeit, vor deren Vielfältigkeit in aller (Ein-
falt wir erstaunen müssen, weil uns abhanden ge-
kommen ist, was jene hatten: die Größe und Ruhe
des überspannenden Gemeinschaftsgeistes.

Aber Ruhe und Stetigkeit des Schaffenden, sie
konnten selbst dann noch dauern, als im Rationalis-
mus der Renaissance das Leben des einzelnen
Selbstzweck war. Bis in das 1,8. Jahrhundert
hinein bleibt in der Herstellung des ganzen Kunst-
gewerbes der Geschmack des Auftraggebers
entscheidend für das Werk und selbst die Kleider-
moden werden von Modeherren und Modedamen
gemacht, wir wissen aus dem und J5. Jahr-
hundert, daß die französischen Galants die Zeich-
nungen für ihre Brokate und Samte selbst ent-
werfen, daß noch im 1,8. Jahrhundert die reichen
Leute die Weiterentwicklung ihrer Mode diri-
gieren können. „Die Damenschneider", erzählt
uns Mandeville in der Bienenfabel, „müssen sich
mit allem Eifer der Erfindung neuer Moden
widmen, damit sie jederzeit etwas noch nie Dage-
wesenes haben, sobald die frechen Spießbürger
wieder anfangen, es jenen nachzutun. Der gleiche
Wetteifer verbreitet sich über alle Rangstufen in
unglaublichem Maße, bis zuletzt den hohen Fürst-
lichkeiten samt allen Hofschranzen, um die unter
ihnen zu übertrumpfen, weiter nichts übrigbleibt,
als massenhaftes Geld auf kostbare Gewänder,
herrliche Möbel, prächtige Gartenanlagen und fürst-
lich ausgestattete Paläste auszugeben." In diesen
eifersüchtigen Bewahrungen gesellschaftlicher Eigen-
art konnte der Anreiz zur höchsten qualitativen
Leistung gelegen sein, und die Leistungen der Kunst
des Barock und Rokoko lehren nicht das Gegenteil.
Aber die eine Wurzel der Mode, die Nachahmungs-
sucht der Stände, hatte im Kulturboden dieser Zeiten
Nahrung entdeckt. Trat noch die andere hinzu:
das Neuigkeitsbedürfnis in derGewerbe- und Ideen-
freiheit des 1,9. Jahrhunderts, so war der Mode-
lauf der Oualitätsverschlechterungen nicht mehr
aufzuhalten.

In diesen Zeiten stehen wir heute. Ohne die
Aufsicht der Behörden, der Zünfte, der Arbeit-
geberverbände rollt die Mode alle Vierteljahr ab,
die Konsumenten in ihren Turnus mit sich reißend.
Zwar hören wir von „Modetyranneien" allent-
halben klagen, die Folgerungen aber aus diesen

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