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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Rauecker, Bruno: Mode und Qualität
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0030
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Verbraucher durch diesen Entschluß geschädigt wor-
den und ist nicht die Gelegenheit gegeben, die
Konkurrenz der (Quantitäten durch Farben-
qualitäten würdig auszugleichen? —-

Als bei der Besprechung der Möglichkeiten einer
Minimalstempelgrenze, die einen bestimmten Min-
destgehalt von Gold und Silber in der Bijouterie
verbürgen sollte, die Pforzheimer Fabrikanten
vor die Frage der Modebeschränkung gestellt wur-
den — das Gesetz vom \6. Juli ^88$, das eine Min-
destgrenze nicht festlegt, sollte abgeändert werden—,
war es die Mode, die über die Oualitätsnorm
den Sieg davontrug. „Es ist nicht anzunehmen,
betont in diesem Zusammenhänge der beste Kenner
der pforzheimer Bijouterieindustrie, „daß der
Teil des kaufenden Publikums, welcher für die
kurante 8 karätige Ware Abnehmer ist, bei einer
Änderung des heutigen Zustandes.., sich dazu ver-
stehen würde, miltelfeine Ware zu kaufen, noch
dazu bei dem raschen Wechsel der Mode,
welche selbst Kreise, die für feinere waren
Abnehmer sein könnten, zum Tragen ge-
ringerer Artikel veranlaßt."*)

Das Beispiel eines reinen Modegewerbes: „Die
Stickerei sucht mit ihren technischen Mitteln so
zu arbeiten, daß ihr Produkt der Spitze der Posa-
mentenarbeit, dem gewebten Ornament ähnlich
sieht, und jene Industrien machen es ihrerseits
geradeso."?) „Das letzte Ziel der Stickereiprodu-
zenten (ist) „ziehende" Muster zu erhalten; ob sie
ästhetischen Anforderungen entsprechen, kommt erst
in zweiter Linie.... Das „perunterreiten" der
Muster, d. h. ihre (im Gefolge der Mode) sich
verschlechternde technische Bearbeitung, läßt große
Ausgaben für Skizzen überflüssig erscheinen."?).
„Daß die Zeichner versagten, liegt daran, daß der
Beruf noch im ersten Entwicklungsstadium steht,
ferner an der durch den Modebedarf bedingten past
der Arbeit und an der (hierdurch hervorgerufenen)
unzulänglichen Ausbildungsgelegenheit."?)

Genügt das — oder sollen wir noch Beispiele fol-
gen lassen? Im Kunstgewerbe am meisten
ließen sich die Zusammenhänge zwischen Mode
und Oualitätslosigkeit erweisen, und es wäre eine
dankbare Aufgabe für einen jungen Kunstgelehrten,
sich dieser Mühe zu unterziehen, wir werden

1) ©öler, Die wirtschaftliche Organisation der Pforz-
heiiner Bijouterieindustrie, S. 37.

2) Rasch, Das Eibenstocker Stickereigewerbe unter der
Einwirkung der Mode, S. 93, \2B/\2% ;32.

in der künstlerischen Erziehung nicht wciterkommen,
wenn sie sich nicht endlich einmal nach Normen
richten kann: die ganze Lrziehungsfrage ist eine
Frage der größeren oder geringeren Stabilität des
zu Erlernenden. Dann aber kann es nicht mehr
gleichgültig sein, wenn eine geile Modeindustrie
den Veitstanz ihrer Geld- und anderer Lüstern-
heit aus dem Rücken unserer Volkswirtschaft aus-
tobt, wenn Tausende, Zehntausende unserer besten
Arbeitskräfte im Ersinnen und Bewirken qualitäts-
loser Mäßigkeiten fronden müssen. Die Allge-
meinheit kann es nicht mehr dulden, daß pundert-
tausende in gehetztem Arbeitsablauf schuften, damit
Millionen verderbliche waren für kürzeste Zeit
entgegennehmen dürfen. Es ist berechnet worden,
daß im Webstoffgewerbe die Irrationalität der
Mode die waren um das Doppelte und Dreifache
verteuert hat. Gesetzt, es bräche in Deutschland
eine Modebänderkrankheit der Kopfbedeckungen
aus und es wären punderte von Reisenden im
Marsch, den „Bedarf" hiernach künstlich anzufachen,
so würden hunderttausend Muster hergestellt, im
Laden sicherlich nach dem punderttausendundersten
von den Käuferinnen gefahndet werden.

Der Ausschuß für Bevölkerungspolitik im Reichs-
tag hat sich dafür eingesetzt, daß von den Regie-
rungen die Versorgung der Minderbemittelten
mit billigem pausrat gefördert wird. In Frank-
furt a. M., in Köln, in Berlin, in Schwaben, in
Sachsen und in Bayern sind öffentliche Gesell-
schaften zu diesem Behuf begründet worden, und
viele Städte und Landesteile haben Ähnliches ge-
plant. Glaubt man hierbei mit „individuellen"
Modemöbeln auszukommen? Die Fabriken und
Händler weigern sich, ihre Produktion auf ver-
billigende Typen umzustellen: Man wird sie zwingen
müssen, so wie man die Schuh- und Textilindustriel-
len schon gezwungen hat. Gewiß: die Friedens-
verhältnisse sollen begrenzte Freiheiten wieder-
bringen, wir werden es — so hoffen wir — nicht
nötig haben, als Uniformenträger unseren Berufen
nachzugehen. Aber so wenig Zügellosigkeit uns
wiederkehren darf im öffentlichen Leben, mit
dem wir dem Staat durch Blut und Eisen eng ver-
pflichtet sind, so wenig darf auch in der Wirtschafts-
politik Mutwilligkeit geduldet werden. Das Kunst-
Handwerk wird seinen Nutzen davon haben, das
in der Stetigkeit des Wirtschaftslebens gleich-
mäßig ruhig schaffen, gleichmäßig ruhig dann auch
gewürdigt werden kann.

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