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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 68.1917-1918

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Lill, Georg: Nymphenburger Porzellan
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https://doi.org/10.11588/diglit.10300#0033
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Es wäre also derselbe Künstler, der in Ludwigsburg
unter dem Namen Franz Anton pustelli um das
Jahr \76o/(}\ auftaucht, — wenn nicht Hofmann
Nachweisen könnte, daß Bustelli ununterbrochen
von ^75^—\765 in Nymphenburg tätig war
und dort gestorben ist, während seine Anstellung
in Ludwigsburg, die wir nur aus einem Adreß-
kalender kennen, offenbar nur in Aussicht ge-
nommen war, aber niemals verwirklicht wurde,
wir wissen bisher so gut wie gar nichts persön-
liches von diesem Manne, weder woher er kommt,
noch wo er gelernt, und werden wohl auch nie
wirklich wertvollen Aufschluß, außer vielleicht einige
kleine zufällige Notizen, über ihn erfahren. Und
doch war dieser bescheidene Fabrikangestellte, der
das Salär eines niederen Beamten bezog, nicht
nur der genialste Porzellanxlastiker Deutschlands,
sondern überhaupt einer der bedeutendsten Klein-
plastiker aller Zeiten. Ganz aus dem Zeitstil
des Rokoko herauskommend, besitzt er jene spie-
lerische Leichtigkeit der Phantasie wie der pand,
die aus einer Nichtigkeit ein Gebilde graziösester
Anmut hervorzaubert. Line zierliche pandbewe-
gung, eine neckische Biegung des palses, ein ko-
kettes Hervorlugen eines Ballschühchens gibt uns
mehr von dem Zeitgeist des t8. Jahrhunderts,
als es dickleibige Bände vermögen. Diese unnach-
ahmliche Lharme schmeichelt sich jedem ins Herz
und zwingt selbst den Sohn einer ernsten, sachlichen
Zeit, die nicht mehr spielend über die Schwierig-
keiten des Lebens hinweggeht, in ihren Bann.
Diesen Zeitstil hat Bustelli völlig materialgerecht
ins Porzellan umzusetzen verstanden, wie die zäh-
flüssige Ulasse des Porzellans in die Form sich er-
gießt, drehend und windend ihren weg nimmt,
sich langgestreckt ausdehnt und schließlich erstarrt,
hat er mit Künstlerblick erfaßt und mit einer geist-
vollen Konsequenz auf seine Schöpfungen über-
tragen. Sie sind wie erstarrtes Wasser, wie Form
gewordene Flüssigkeit. Die Kohäsion der Moleküle
ist direkt sichtbar geworden. Das Geschmeidige der
Masse lebt in den weichen Übergängen, in den
schwellenden Drehungen und starken Kontraposten
wieder auf. Aber noch eine Eigenschaft der Por-
zellanmasse zog Bustelli zu seiner plastischen Ver-
arbeitung heran. Er hat das Eigenleben des gla-
sierten Porzellans ohne weitere Färbung erkannt,
scharfkantig aneinandergesetzte Flächen, die jedoch
ganz leicht moduliert sind, ergeben die reizvoll-
sten Abschattierungen vom stumpfen Grau zu
nrilchweißen Flecken bis zu den höchsten Lichtern,
die in glitzernden, senkrechten Schlangenlinien
über die ganze Figur rieseln und ihr etwas von

der Sprühkraft des Wassers geben. Gerade diese
unruhige impressionistische Lichtwirkung kam aus
dem innersten Wesen des Rokokogeschmacks, ent-
sprach aber auch den wesentlichsten Eigenschaften
der Masse, weil so die Figuren Bustellis, wie ein
graphisches Blatt nur durch Schwarz und weiß
doch farbig wirkt, auch ihr eigenes farbiges Leben
weiß in weiß leben, so konnten sie am ehesten der
bunten Farbe entbehren. Gerade die vollkom-
mensten unter ihnen, wie die Komödienfiguren, sind
deshalb ohne Bemalung am schönsten, höchstens
daß hie und da ein kleiner farbiger Saum oder
Masche den Gegensatz pikant steigern kann.

Nicht mit' einemmal hat Bustelli die Höhe seines
Könnens erreicht. Seine ersten Schöpfungen sind
wohl jene Figürchen aus der vornehmen Ge-
sellschaft, die ähnlich wie die früheren Schöpfungen
der Fabrik erfaßt sind, aber doch gewandter und
anmutiger in der Bewegung und ausdrucksvoller
im Mienenspiel modelliert sind. Sie haben einen
gewissen Zusammenhang mit der süddeutschen
Rokokokunst jener Tage, wie schon daraus hervor-
geht, daß einzelne wie die neckische „Dame im Reif-
rock" auf Stiche des bekannten Augsburger Stechers
Z. L. Nilsen zurückgehen. Line gewisse liebens-
würdige Anmut sowie manche Übereinstimmung
in Einzelheiten lassen auch an wiener Einfluß
denken, vielleicht ist das beinahe gleichzeitige
Auftauchen Ringlers und Bustellis in München
nicht ohne inneren Zusammenhang. Das Glän-
zendste, was aber Bustelli schuf und wobei er
seinen eigensten Stil errang — denn seine flächig-
kantige Modellierung hat nur eine zufällige Ähn-
lichkeit mit gleichzeitigen bayerischen Holzschnitze-
reien und beruht, wie oben gesagt, auf dem Wesen
des Materials —, sind seine Figuren aus der italie-
nischen Komödie. Unzählige Male in Stichen und
Porzellan hat man jene damals allbekannten
typischen Gestalten des Scaramuz, Pantaleon,
Lapitano, Harlekin, pierrot, Narziß, der Lolom-
bine, der Tänzerin und der zahllosen Kavaliere
und Damen in ihrem Gefolge mit den mannig-
faltigsten Attributen dargestellt, aber die glänzendste
Lösung werden doch Bustellis einzigartige Schöp-
fungen bleiben, welch südländische Beweglichkeit
zuckt in diesen Gliedern, wiejlebt und spricht nur noch
die schöne, anmutige, weiche Geste in diesen Kör-
perchen. Alles ist Tanz, Rhythmus, Melodie. Dqs
Theatralistische aller Jahrhunderte löst Freud und
Leid in Mimik auf. welch eine Parodie die innige
Liebe des Harlekins mit dem eingefatschten Affen-
kind, jene vielleicht populärste Erfindung Bustellis!
wie unnachahmlich ist die weibliche Koketterie

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