ARNOLD ZADIKOW, München
Siegel stücke
im deutschen Volke einzusetzen; die handwerkliche
Tradition sei ein Kapital, über das Deutschland
heute noch verfüge und das ihm keine Feindes-
gewalt abnehmen könne: dieses Kapital zu ver-
walten und zu vermehren sei Sache des Werkbundes.
Über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und über
die Gefahren, die aus der Stillegung mancher Ge-
werbe erwachsen, hinweg müsse der Werkbund
diese handwerkliche Tüchtigkeit neuer Blüte ent-
gegenführen. Die deutsche Gewerbeschau 1922 in
München biete zur Bekundung einer guten Absicht
in dieser Richtung reichlich Gelegenheit. Der baye-
rische Handelsminister Hamm nahm Stellung zur
Frage der vom Werkbund vertretenen Qualitäts-
arbeit. Er bejahte dieMöglichkeit, heute in Deutsch-
land noch Qualitätsarbeit zu leisten, sprach das
schöne Wort aus: „Deutsche Arbeit bedeutet edle
Arbeit", und stellte dem den Satz gegenüber:
„Ramschware erzeugt Ramschgesinnung". Das
ganze deutsche Volk möge sich zu einem großen
Deutschen Werkbund zusammenfinden, war sein
Wunsch.
Was Ministerialdirektor Hendschel vom baye-
rischen Kultusministerium vorbrachte, galt nament-
lich dem neuen Vorsitzenden des Werkbundes. Zu
Beginn der Versammlung nämlich hatte der bis-
herige erste Vorsitzende Professor Hans Pölzig,
Berlin, den Beschluß des Ausschusses bekannt-
gegeben, daß mit Rücksicht auf die in Vorbereitung
befindliche große Münchner Unternehmung des
Werkbundes, die deutsche Gewerbeschau 1922, der
Vorsitz an einen Münchner Werkbündler übergehen
solle, und daß dazu vom Ausschuß Professor Rieh.
Riemerschmid auserwählt worden sei. An diese
Tatsache knüpfte Hendschel an, betonte, daß
Riemerschmid, der stets ein vielumkämpfter Mann
gewesen, nun als Werkbundpräsident noch mehr
exponiert sein werde, und daß die staatliche Unter-
richtsverwaltung, indem sie sich damit einverstan-
den erkläre, daß der Leiter der Münchner Kunst-
gewerbeschule diese neue Amtslast sich aufbürde,
auch ihrerseits ein Opfer bringe. Riemerschmid
werde deswegen aber noch lange nicht der baye-
rische Geschmacks- und Kunstpapst sein — das
wollte Hendschel „zur Beruhigung ängstlicher Ge-
müter" nachdrücklichst feststellen. (Für Einge-
weihte in Dinge, die in den Hintergründen der
bayerischen Kunstpolitik sich vollziehen, war diese
Rede mit ihren Perspektiven nach verschiedenen
Richtungen hin weitaus die belangreichste.) Bürger-
meister Schmid sprach namens der Stadt, Pro-
fessor Scharvogel namens der Gewerbeschau -
und nun schloß sich die eindrucksvollste Stunde der
Tagung an, ein Vortrag des Stettiner Museums-
direktors Dr. Walther Riezler, eines Münchner
Kindes, der sich zu dem aktuellen Thema „Zeit-
geist und Kunst der Stunde" hören ließ. Er ging
dabei vom Werkbundprogramm und dem Qualitäts-
gedanken aus und besah sich einmal den so gerne
und so gerne falsch und leichtfertig gebrauchten
Begriff „Qualität" etwas näher. Qualität — defi-
nierte er — ist die Form, die aus der Einheit des
Menschen mit der Natur entsteht; nicht von außen
kann sie herangebracht werden, sondern von innen
heraus muß sie kommen. Qualität der Form ist
eins mit Stil — Stil darf nichts Gewolltes sein,
sondern er ist selbstverständlicher Ausdruck inneren
Lebens. Nur eine Zeit, die mit der Natur in Ein-
klang steht, hat echten, wesentlichen Stil. Bewußtes
Arbeiten an einem „Zeitstil" ist zwecklos, führt
irre. Die Frage ward aufgeworfen, ob unsere Zeit
einer Stilbildung fähig sei. Die „Entfernung" sei
das charakteristische Merkmal unserer Zeit, zwie-
spältig sei alles und jedes in dieser Zeit. Die Forde-
rung eines Einheitsstils kann unser Zeitalter nicht
erfüllen. Harmonie vorzutäuschen, wozu man be-
sonders in München so gerne geneigt sei, bedeute
die größte Gefahr; mit bestehenden Gegensätzen
müsse man sich vielmehr auseinandersetzen. Die
Maschine sei das Charakteristikum unseres Jahr-
hunderts, sie leiste die auch formal bezeichnendste
Arbeit unseres Zeitalters. Auf sie habe der Werk-
bund deshalb auch sein Hauptaugenmerk zu richten,
aber nicht so, daß er an der Maschinenarbeit
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Siegel stücke
im deutschen Volke einzusetzen; die handwerkliche
Tradition sei ein Kapital, über das Deutschland
heute noch verfüge und das ihm keine Feindes-
gewalt abnehmen könne: dieses Kapital zu ver-
walten und zu vermehren sei Sache des Werkbundes.
Über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und über
die Gefahren, die aus der Stillegung mancher Ge-
werbe erwachsen, hinweg müsse der Werkbund
diese handwerkliche Tüchtigkeit neuer Blüte ent-
gegenführen. Die deutsche Gewerbeschau 1922 in
München biete zur Bekundung einer guten Absicht
in dieser Richtung reichlich Gelegenheit. Der baye-
rische Handelsminister Hamm nahm Stellung zur
Frage der vom Werkbund vertretenen Qualitäts-
arbeit. Er bejahte dieMöglichkeit, heute in Deutsch-
land noch Qualitätsarbeit zu leisten, sprach das
schöne Wort aus: „Deutsche Arbeit bedeutet edle
Arbeit", und stellte dem den Satz gegenüber:
„Ramschware erzeugt Ramschgesinnung". Das
ganze deutsche Volk möge sich zu einem großen
Deutschen Werkbund zusammenfinden, war sein
Wunsch.
Was Ministerialdirektor Hendschel vom baye-
rischen Kultusministerium vorbrachte, galt nament-
lich dem neuen Vorsitzenden des Werkbundes. Zu
Beginn der Versammlung nämlich hatte der bis-
herige erste Vorsitzende Professor Hans Pölzig,
Berlin, den Beschluß des Ausschusses bekannt-
gegeben, daß mit Rücksicht auf die in Vorbereitung
befindliche große Münchner Unternehmung des
Werkbundes, die deutsche Gewerbeschau 1922, der
Vorsitz an einen Münchner Werkbündler übergehen
solle, und daß dazu vom Ausschuß Professor Rieh.
Riemerschmid auserwählt worden sei. An diese
Tatsache knüpfte Hendschel an, betonte, daß
Riemerschmid, der stets ein vielumkämpfter Mann
gewesen, nun als Werkbundpräsident noch mehr
exponiert sein werde, und daß die staatliche Unter-
richtsverwaltung, indem sie sich damit einverstan-
den erkläre, daß der Leiter der Münchner Kunst-
gewerbeschule diese neue Amtslast sich aufbürde,
auch ihrerseits ein Opfer bringe. Riemerschmid
werde deswegen aber noch lange nicht der baye-
rische Geschmacks- und Kunstpapst sein — das
wollte Hendschel „zur Beruhigung ängstlicher Ge-
müter" nachdrücklichst feststellen. (Für Einge-
weihte in Dinge, die in den Hintergründen der
bayerischen Kunstpolitik sich vollziehen, war diese
Rede mit ihren Perspektiven nach verschiedenen
Richtungen hin weitaus die belangreichste.) Bürger-
meister Schmid sprach namens der Stadt, Pro-
fessor Scharvogel namens der Gewerbeschau -
und nun schloß sich die eindrucksvollste Stunde der
Tagung an, ein Vortrag des Stettiner Museums-
direktors Dr. Walther Riezler, eines Münchner
Kindes, der sich zu dem aktuellen Thema „Zeit-
geist und Kunst der Stunde" hören ließ. Er ging
dabei vom Werkbundprogramm und dem Qualitäts-
gedanken aus und besah sich einmal den so gerne
und so gerne falsch und leichtfertig gebrauchten
Begriff „Qualität" etwas näher. Qualität — defi-
nierte er — ist die Form, die aus der Einheit des
Menschen mit der Natur entsteht; nicht von außen
kann sie herangebracht werden, sondern von innen
heraus muß sie kommen. Qualität der Form ist
eins mit Stil — Stil darf nichts Gewolltes sein,
sondern er ist selbstverständlicher Ausdruck inneren
Lebens. Nur eine Zeit, die mit der Natur in Ein-
klang steht, hat echten, wesentlichen Stil. Bewußtes
Arbeiten an einem „Zeitstil" ist zwecklos, führt
irre. Die Frage ward aufgeworfen, ob unsere Zeit
einer Stilbildung fähig sei. Die „Entfernung" sei
das charakteristische Merkmal unserer Zeit, zwie-
spältig sei alles und jedes in dieser Zeit. Die Forde-
rung eines Einheitsstils kann unser Zeitalter nicht
erfüllen. Harmonie vorzutäuschen, wozu man be-
sonders in München so gerne geneigt sei, bedeute
die größte Gefahr; mit bestehenden Gegensätzen
müsse man sich vielmehr auseinandersetzen. Die
Maschine sei das Charakteristikum unseres Jahr-
hunderts, sie leiste die auch formal bezeichnendste
Arbeit unseres Zeitalters. Auf sie habe der Werk-
bund deshalb auch sein Hauptaugenmerk zu richten,
aber nicht so, daß er an der Maschinenarbeit
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