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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 71.1921

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F.: "Kunst und Weltanschauung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8622#0071
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frei machen, indem er sie von ihrer jetzigen Ab-
hängigkeit vom Kapital erlöst. Er wird dem
Wirtschaftsleben wieder die Stetigkeit bringen,

in deren Atmosphäre allein wirklich große Kunst
zu gedeihen vermag. In der sozialistischen Gesell-
schaft wird der Künstler nicht mehr auf den Er-
werb angewiesen sein, nicht mehr mit seiner

Existenz zu ringen haben, braucht nicht mehr für
Ausstellungen und Kunsthandel zu produzieren,
sondern kann, von den Sorgen des Tages befreit,
seine Werke in aller Ruhe und ohne Rücksicht
auf die Verkaufsmöglichkeit ausreifen lassen, wird
also innerlich viel freier sein, als er es jetzt ist.

Insoferne als das Proletariat der Vorkämpfer
der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist, wird
ihm auch die neue Kultur, die aus ihm ersprießt
zu danken sein. Sie deshalb aber eine proletarische
Kultur (Prolet-Kult) zu nennen, halte ich für ver-
kehrt. Aus den Verhältnissen, in denen jetzt das
Proletariat lebt, kann sich eine neue Kultur nicht
entfalten." Aus dieser, wie aus ähnlichen Stimmen,
klingt der bange Zweifel, ob das Proletariat, wenn
es die Fülle der politischen Macht, die es allent-
halben errungen hat, aber nicht halten konnte,
im Falle einer Zurückgewinnung imstande wäre,
das Angesicht der Erde zu erneuern, die inneren
Werte so umzuformen, daß aus ihnen eine neue
Kunst sprießen könnte. Noch sind beispielsweise
die Versuche nicht aufgegeben, das Theater als
proletarische Einrichtung zu reklamieren, und die
deutsche Volksbühnenbewegung steht fest in ihrem
Bestreben, an-
stattdesBour-

geoisiethea-
ters von ge-
stern das Pro-
letarierthea-
ter von mor-
gen zu stellen.

Allein diese
und ähnliche
auf dem Ge-
biet der bil-
denden Kunst

angestellten
Versuche, die
Kunst zu pro-

letarisieren,
müssen so lan-
ge scheitern,
als es nicht
gelingt, in die sander und Ludwig

Gemeinschaft Kunstgewerbliche Werkstätte

einen neuen Geist zu gießen, der mehr ist als der
Hunger nach Materialismus, nach „gleichmäßiger
Verteilung irdischer Güter", als Haß, Wucher, Über-
vorteilung: dies alles zugunsten einer übertriebenen
Schätzung dessen, was der Körper verlangt, und einer
völligeinseitigen Einstellungaufsinnliche Güter. Von
dieser Einstellung aber ist der revolutionäre So-
zialismus noch beherrscht, und nichts beweist dies
in der Kunstbetrachtung mehr, als der fortgesetzte
Versuch Revolution, Sozialismus und Expressionis-
mus in eine innere Verbindung zu setzen. Keine Kunst
kann auf Ideale verzichten; denn dadurch unterschei-
det sich ja die Kunst vom Realismus der Natur, daß
sie Dinge sieht und darstellt, die dem leiblichen Auge
verschlossen sind, die nur im Reich der Phantasie
und der Ideale gezeugt werden. Und wer die Kunst
zum nackten Ausdruck der Wirklichkeit zwingen
will, beweist, daß er von Kunst nichts versteht.

Was der einzelne als sein politisches Ideal ansieht,
mag dahingestellt bleiben. Kunst kann immer
nur da blühen, sich durchsetzen, schaffen und
meinetwegen, wenn es gerade sein muß, sich er-
neuern, wo der Schaffende aus der Gemeinschaft
großer Ideen inspiriert wird und annehmen kann,
daß er von den anderen, die ebenso empfinden,
verstanden wird. Der Kunst aber das Prokrustes-
bett politischer Entwicklungen aufnötigen zu
wollen, ist völlig zwecklos, weil die Kunst nun doch
einmal ihren Entwicklungsgesetzen, die über Höhen
aber auch Tiefen führen, folgt. Und wenn unsere
Zeit keinerlei transzendentales Ideal haben soll, so

kann und muß
ihr Gemein-
samkeits-
sinn in einem
wenigstens
„gemeinsam"
sein, nämlich
in der Ar-
beit, das ein-
zige, was ei-
nem durch
Not, innere
und äußere
Leiden getrie-
benem Volke
möglich und
nötig ist, mög-
lich, weil ei-
nem niemand
die Arbeit ver-
bieten kann,
nötig, weil

Sofakissen in Batik

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