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Kunst und Handwerk am Oberrhein: Jahrbuch des Badischen Kunstgewerbevereins und des Kunstgewerbevereins Pforzheim — 2.1926-1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.12927#0017
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VI O D E UND KULTUR

RANDBEMERKUNGEN VON W.E. OEFTER1NG

Es gab eine Zeit, und es ift nodi nidit lange
hei', wo man hinter die überfehrift diejes Auf|atzes
unbedingt hätte ein Fragezeidien fetzen mü(]en.
Mode, die vorübergehende Erfcheinung, op nur
flüchtige Laune kurzer Zeitjpannen, und Kultur,
dieSummeallerwejentlichen undgei|tigen Lebens-
äuperungen: was hatten |ie miteinander zu tun?
Mode! Das forderte heute zu Spott und Lädierlidi-
keit heraus, wenn man an das Geftern oder Vor-
gestern dachte; und nur weiter zurück, wenn die
Form fie hijtorijch beglaubigte, dachte man ihrer
mit Entzücken und Sehnfucht und holte fie ge-
legentlich freudig bei einem Kol rümfeß aus dem
Mufeums|dirank.Mode und Koftüm, das ijt Gegen-
wart und Gejdiichte; wegen ihrer Jetzigkeit unter-
liegt die Mode lebendig bewegenden Einflüjjen,
die (ie bepimmen und jtets verändern. Deshalb
iß die Mode auch nicht die launenhafte Erpndung
eines gefchid<ten und einfallreichen einzelnen
Machers, |ondern das Produkt einer Reihe von
Uijachen, die auf verfchiedenen Gebieten liegen

Die Herren-Mode unterliegt Jeit langem, |eit
faß hundert Jahren nur leiditen Schwankungen, die
fich auf Einzelheiten erßrecken. Die Lebens-
bedingungen bringen das |o mit |idi. Die Frauen-
Kleidung dagegen wech|elte häufiger und fchneller
und fiel leiditer von einem Extrem ins andere.
Was die Sitte heute erlaubte, verbot morgen eine
rigorojere Sittlichkeit, und umgekehrt. Aber andere
Umßande brachten eine größere Stabilität in die
Flucht der Erfdieinungen.

Seitdem die Frau (idi im tätigen Leben einen
Platz neben dem Mann eroberte - zu erobern
gezwungen war trat die Forderung der Berufs-
kleidung mit nachdrücklicher Beßimmtheit auf. Im
Haus und bei feßlichen Anl ä||en war die Sehl eppe

- um ein Bei|piel herauszugreifen - nodi möglich
gewefen; im Büro, in der Elektrifchen, in der Fabrik
iß fie ein Ding der baren Unmöglichkeit. Und
nachdem die Frau ins tätige Erwerbsleben einge-
treten war, brauchte fie genau wie der Mann die
Erholungs-undAusjpannmöglichkeiten desSports,
der wiederum eine Kleidung nadi feinen Dedürf
niffen zurVorausfetzung hat. Wandern, Radfahren,
Skilaufen, Tennis, Faltboot ufw. dulden keine
„Koßüme". Forderungen, die vor zwanzig Jahren
noch theoretifch und demonßrativ erhoben werden
mupten, fetzte das Leben fchlankweg durdi. Das
|og. „Reformkleid", das dem Körper geben follte,
was des Körpers iß, hat eine Verwirklidmng ge-
funden, die viel glücklicher iß, als die theoretifch
und konßruktiv erdachten und gebauten Gewan-
dungen damals waren. Man darfauch die|e freilich
nidit nach ihrenMipgeburten beurteilen, wenn man
jetzt von ihnen fpricht. Denn damals regte |idi
bewupt derWille nach einer individuellen Kleidung,
die zugleich hygienifchen und äßhetifchen Grund
fätzen gerecht werden wollte.

Das individuelle Moment iß auch jetzt und
jederzeit widitig für den kulturellen Stand irgend-
einer Lebensäuperung. Gewip wird auf dem Ge-
biet der Kleidung durch die Konfektion allerhand
Reizvolles und gefchmacklich Hübfehes geboten.
Die Indußrie fchajft in Stoffen und deren Verar-
beitung grope Möglichkeiten. Jedoch die Gefahr
der Uniformierung iß damit mehr oder weniger
verknüpß. Es iß aber nicht in erßer Reihe eine
Frage des Geldbeutels, fondern der Eigenwertig-
keit des Idi, weldien Spielraum für cliejcs Ich man
innerhalb der durch den Zeitgefchmack bedingten
Grenzen zu |udten und zu finden weip. Neben den
indußriell gefertigten Stoffen aller Art gibt es

XI
 
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