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2V 61.

Kunstblatt.

Donnerstag, den 30. Juli 1840.

Der Proreß des Dildhaners Carew gegen die
Testamentserecutoren des verstorbenen Grafen
Egremont.

Bei diesem Prvceß, welcher in England viel Aufsehen
gemacht hat, und zu Anfang Aprils d. I- bei den Assiscn
zu Lewes gegen den Kläger entschieden wurde, kamen,
wenn gleich der eigentliche Gegenstand desselben nur uner-
freulich genannt werden kann, doch so mancherlei auf
Künstlers Erdeuwallen in England bezügliche Umstände
zur Sprache, daß eine ausführlichere Nachricht über den-
selben den Lesern dieser Blätter nicht unwillkommen seyn
dürfte.

Herr Carew ist ein Bildhauer von Ruf und bedeu-
tender Geschicklichkeit. Aus den Angaben seines Anwalts,
Hrn. Thesiger, ergibt sich, daß er im Jahr 1823 für Sir
Richard Westmacott arbeitete, von dem er eine jährliche
Einnahme von 1500 bis 1800 Pfd. St. bezog, während er
es in seinem eigenen Atelier noch außerdem auf circa 800
Pfund brachte, folglich sich das Jahr über im Durchschnitt
auf 2500 Pfd. (16 bis 17,000 Thlr.) stand. Im Jahr 1823
ward er vom Grafen Egremont veranlaßt, seine frühere
Stellung auszugeben und sich fast ausschließlich dem Dienste
Sr. Lordschaft zu weihen. In diesem Verhältnisse blieb er
auch bis zum Tod seines Gönners, indem er bis 1831
in London, bis 1835 in Brighton und bis 1837 zu Pct-
worth, auf dem Schlosse des Grafen, wohnte.

Binnen dieser Zeit erhielt, wie Hr. Thesiger in seinem
Plaidoycr vor der Jury angab, Hr. Carew vom Lord Sgre-
mont verschiedene Summen, nicht als volles Honorar für
seine Leistungen, sondern auf Abschlag und um seinem
augenblicklichen Bedürfnisse zu genügen. Er erwartete, der
Lord werde ihn in seinem Testamente angemessen beden-
ken, und drang daher nie auf vollständige Befriedigung.
Indes; bei dem Ableben des Grafen Egremont fand sich
kein solches Legat vor, und so sah sich Hr. Carew plötzlich
ohne Beschäftigung und Mittel. Von Gläubigern ge-
drängt, folgte er dem Rath seiner Freunde, sich an die

Testamentsvollstrecker zu wenden. Diese verlangten na-
türlich nähere Begründung der Ansprüche, und Hr. Carew
sah sich zuletzt genöthigt, gerichtliche Hülfe in Anspruch zu
nehmen. So entstand denn der fragliche Proccß.

Zur richtigen Beurtheilung dieses Rechstfalles ist eini-
ges über den Charakter des Grafen Egremont zu sagen
nothwendig.

Graf Egremont war ein Mäcen der Künstler im
großen Maßstabe. Sein Schloß zu Petworth ist mit den
Werken der neuern Künstler Englands reich ausgeschmückt.
Von alten Meistern finden sich nur wenige Stücke daselbst.
Jndeß begnügte sich der Graf nicht damit, die Prvducte
der Künstler zu kaufen; sein Haus stand ihnen offen, und
selten fehlten an seiner Tafel englische Bildhauer oder
Maler. Kranken Künstlern diente Schloß Petworth gleich-
sam als Hospital, unbemittelten als Unterstützungsbank.
Jeder anständige Mann, der von seiner Feder oder Kunst
lebte, ward dort so zuvorkommend, ja vielleicht noch zu-
vorkommender empfangen und behandelt als der erste Pair
des Reichs. In dem prächtigen Schlosse ging es so einfach
her, wie in der Halle eines Philosophen. Der Graf und
die sämmtlichcn Mitglieder seiner Familie schienen nur
darauf bedacht, jeden Gast zu überzeugen, daß sie den
geistigen Adel über den Geburtsadel stellten, und jeder
gebildete Gast fühlte sich durch solche vvrurtheilsfreie Be-
handlung angesprvchen und nirgends durch steife Etikette
beengt. Die Künstler erhielten eigene Zimmer und Ateliers
angewiesen, wo sie nach Lust und Belieben arbeiteten, und
da der Graf dabei beabsichtigte, ihnen Erholung von müh-
seliger» Geschäften zu bereiten, so war zugleich für alle
Annehmlichkeiten und Vergnügungen in und außer dem
Hause aufs Reichlichste gesorgt.

Die Freigebigkeit des trefflichen Mannes ging aber
noch weiter. Wenn er erfuhr, daß ein tüchtiger Künstler
oder Gelehrter mit Noth zu kämpfen hatte, so war seine
Hand stets zum Geben bereit; und er gab nicht knickerig,
er half gründlich, und hat mehrfach Leute, die keine andere
Aussicht vor sich hatten, als Zeitlebens mit Hunger und
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