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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 25.1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.3206#0215
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2V 5i.

Kunstblatt.

Dienstag ^ -en 25. Juni 184-1.

Geschichte -er deutschen Kunst im Mittelalter.

(Fortsetzung.)

Nach meiner Ansicht sind die Unterschiede zwischen
den detreffenden Bauwerken des Niederrheins und denen
in Thüringen und den benachbarten Gegenden nur durch
lokale Eigenthümlichkeiten veranlaßt. Wir bemerken am
Niederrhein schon früh eine Neigung zu einer malerisch
bunten und reichen Entfaltung der Architektur. Daher
schon früh diese imposante, sich in der Perspektive man-
nigfach verschiebende Thurmanlage, diese Mannigfaltig-
keit der Absiden, dies reiche Gallericn-, Nischen- und
Säulenwerk im Aeußcrn und Innern. Die Westseite
des Domes von Trier, der untere Theil der Westseite
von S. Pantaleon zu Köln, die dortige Kirche Maria
auf dem Kapitol, die große Kirche von Laach u. s. w.
geben dafür mehr oder weniger frühe Beispiele. Es
liegt in der Natur der Sache, daß eine solche Sinnes-
richtuug bei dem Ausgange der romanischen Periode, in
einer Zeit, da gerade in dieser Gegend eine äußerst leb-
hafte Baukhätigkeit erwachte, auf mancherlei Abwege
führen und dadurch jenes barocke Wesen begründen
mußte. In den sächsisch-thüringischen Gegenden aber
sehen wir in der ganzen Periode des romanischen Stples
Nichts der Art, wenigstens nicht vorherrschend; die
ganze Gefühlsweise ist hier von Hanse aus schlichter und
klarer; es war somit auch keine namhafte Gelegenheit
zu ähnlichen Ausartungen gegeben.

Nicht die architektonische Composition ist es, worin
die wesentlichsten historischen Unterschiede in der Archi-
tektur beruhen, sondern vielmehr die Bildung der De-
tails, die Art und Weise, wie sich in ihnen (freilich nach
Maßgabe der Gcsammt-Composition und in Bezug auf
die Verhältnisse derselben) das architektonische Lebensge-
fühl entwickelt. Ich erinnere hier an das, was ich be-
reits oben über die Bedeutung des architektonischen De-
tails gesagt habe. Der Vergleich mit der Sprache, auf
den ich schon oben, hiugedeutet, dient auch hier, die

Sache wesentlich klar zu machen; denn die Architektur
ist recht eigentlich eine Sprache, die des räumlichen Ge-
fühles, und sie hat als solche zugleich den Vorzug, daß
sie Jedem verständlich ist, der seinen Sinn für sie öffnet.
Nicht der Aufbau dieses oder jenes Dichtwerkes bestimmt
dessen Zeit, sondern die Weise des sprachlichen Aus-
drucks, die grammatische Fügung der Worte. Die Lieder
von Siegfried und Chrimhild sind Jahrhunderte hin-
durch gesungen; die Sprache deS Nibelungenliedes
charakterisirt die Zeit, von welcher das Gedicht in seiner
gegenwärtigen Gestalt herrührt. Freilich müssen wir eS
zugeben, daß auch in diesen Verhältnissen, was den
Fortschritt der Entwickelung anbetrifft, lokale Unter-
schiede statt finden können; an dem einen Orte wird
man dem Gange der Zeit voranschreiten, an dem an-
dern wird man hinter ihm zurückbleibcn. Aber diese
Unterschiede können dennoch keine wesentliche Bedeutung
haben; cs kann sich bei ihnen im Allgemeinen wohl um
Jahrzehnte, nicht um Jahrhunderte handeln. Die Ar-
chitektur, wie die Sprache, hat in ihrem Innersten ein
tief bedeutsames, ein ethisches Moment, — sie hatte es
wenigstens, so lange sie volksthümlich war; sie hat eS
selbst noch heute, wenn auch verborgen, in Mitten ihrer
gelehrt conventionellen Ausübung. Die Architektur ist
den Menschen, den Völkern ursprünglich angeboren,
nicht angelernt, und wo sie Fremdes sich aneignen, ver-
wandeln sie dasselbe dennoch alsbald in ihr selbststän-
diges geistiges Eigenthum. Sie ist der Ausdruck des
Formensinnes, des Gesichtsvcrmögens, welches der be-
stimmten Zeit wie dem bestimmten Volke eigen ist; und
wie die ganze geistige Bildung der Völker vorschreitet,
wie Sprache und Sitte und Leben sich klarer, zusam-
menhängender, organischer gestalten, so entwickelt sich
gleichmäßig auch ihr Sinn für den Organismus der
Architektur, — für das architektonische Detail.

Das Letztere also haben wir vorzugsweise, mehr als
die äußere Composition, in's Auge zu fassen, wenn es
sich um architekturhistorische Untersuchungen handelt.
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