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ü ii n |t M fl 11.

N 40.

Berliner Briefe.

Von T. L. S.

Anfang Juni 18-18.

(Fortsetzung.)

H.

Gestehen Sie es, Verehrtester, Sie haben es bewundert,
wie reichlich die lang aufgestaute Tinte in meinen, vorigen Briefe
geströmt ist. Sie sind aber vielleicht nicht ganz ohne Besorgniß
vor der Gefahr einer Ueberschwemmung, und Sie rathen mir
wohlmeinenden Sinnes, die Schleuse bei Zeiten wieder zu
schließen. Aufrichtig gestanden, und wüßte ich dem lvsgelaffe-
nen Strome irgend entgegen zu arbeiten, so möchte ich Ihren
Rath befolgen und meine Konfessionen über die hiesigen Kunst-
zustände hiemit abgethan sehn lassen, zumal wen» ich das
schwierige Kapitel erwäge, das mir jetzt bevorsteht. Es gilt
über einen Mann von großem deutschem oder vielmehr euro-
päischem Renommee zu sprechen, den Berlin jetzt zu den Seinen
zählt, der aber bis jetzt so wenig zu Berlin, wie Berlin zu
ihm, eine rechte Stellung gewonnen hat. Es gilt, einen Cor-
nelius in Berliner Briefen zu behandeln. Schon bei diesem
Wort sehe ich gar manche Ihrer süddeutschen Freunde sich mit
Unwillen abwenden. Berlin, dieß Symbol von Hochmnth und
Selbstgefälligkeit, Berlin, das seinen Schinkel nicht einmal
verstanden, Berlin, das cs nur zu seinen schlechten „Witzen"
und höchstens zn einer Hegrl'schen Philosophie gebracht hat, will
es sich anmaßen, über einen Meister ein Urtheil zu fällen, der
nur mit Entäußerung aller Subjektivität aufgesaßt, nur mit
voller Hingabe der Kräfte des Gemüthes begriffen werden kann!
— Es mag immerhin so seyn. Aber Cornelius ist einmal in
Berlin, er hat den Ruf hiehcr angenommen, er hat für uns
zu schaffen angcfangen, — ich glaube, es hat also auch die
Stimme des Berliners ein Recht, über ihn gehört zu werden.

Diejenige persönliche Pietät, die wir für einen Mann
empfinden, an den wir bei langjährigem Zusammenwirken durch
die verschiedenartigsten Bande geknüpft sind, eine Pietät, wie
sie für Cornelius in München noch bewahrt werden mag, kön-
nen wir für ihn hier natürlich nicht haben. Es würde unserer
Auffassungsweise einen ziemlich servilen Beischmack geben, woll-
ten wir bei ihm aus Anderes als auf den berühmten Namen
nnd namentlich auf feine Leistungen besondere Rücksicht nehmen.
Auch hat es sich Cornelius nicht eben angelegen seyn lassen,
seinerseits zu uns in ein näheres Verhältniß zu treten. Ob er
sich in den Beziehungen des hiesigen Künstlerlebens thätig und
wirksam erwiesen, ist mir wenigstens nicht bekannt geworden;
an unfern großen Kunstausstellungen hat er keinen Theil ge-
nommen, auch sonst seine Kompositionen hier nicht zur öffent-
lichen Ausstellung gebracht, was er doch an andern Orten,
wenigstens bei seiner letzten Anwesenheit in Rom, nicht ver-
schmäht hat. Wir können seine hiesige Wirksamkeit im Wesent-
lichen nur nach dem einen, in der Raczynski'schen Galerie
befindlichen Bilde und nach den von ihm hcrausgegebencn Blät-

Donnerstag den 17. August 1848.

tern beurtheilen. Er ist uns, wie es scheint, niit einer gewissen
Absichtlichkeit fremd geblieben, und wir haben demnach um so
weniger Anlaß, einen andern Maßstab an seine nencren Werke
zu legen, als in diesen selbst enthalten ist.

Cornelius' erstes Auftreten unter uns bestand in dem oben
erwähnten Bilde, welches er für den Grafen Raczynski gemalt
hatte nnd welches in dessen Galerie ausgestellt ward, Christus
unter den Erzvätern in der Vorhölle. ‘ Die Galerie ist dem
Besuche des Publikums täglich freigegcben, und Alles, was sich
für Kunst intereffirte, besonders diejenigen, die Cornelius'
Arbeiten in München noch nicht kannten, strömte dorthin, von
der Richtung des vielbesprochenen Meisters eine Anschauung zu
gewinnen. Aber — ich «ferne in diesem Augenblick einfach
Thatsächliches — ein Schrei des Unwillens zuckte durch die Stadt
und machte sich selbst in einzelnen sehr beißenden Aeußerungen
in den Zeitungen Luft. Sollten diese harten, schweren, zum
Theil unvermittelten Farben für Malerei, diese körperlosen, im
Einzelnen geradezu widernatürlichen Formen für Zeichnung und
Plastik, diese seltsam zurückgewundenen Augen für Ansdruck
gelten? Sollte dieß, znm Theil gänzlich apathische, znm Theil
allerdings leidenschaftlich angeregte Zusammensitzen und Stehen
eines Kreises von Personen, in dessen Mitte ein mangelhaft
organisirter Mann mit ausgebreiteten Händen stand, die Be-
freiung der Seelen des alten Bundes, die ihrer Erlösung Jahr-
tausende hindurch entgegengeharrt, vorstellen? — Auch diejeni-
gen , die sehr wohl wissen, worin bis dahin Cornelius' Größe
bestand, mußten schmerzlich das Haupt schütteln. Sie erkannten
in den allgemeinsten Zügen der Komposition wohl das ihm
eigne Gesetz einer großartigen Rhythmik, konnten aber nicht
umhin, sich einzngestehen, daß der Zorn des Publikums nicht
eben ohne Grund sey, und wußten sich nur mit dem Gedanken
zu trösten, daß auch Homer bisweilen schlafe.

Schlimmer noch, obgleich ohne namhaften Einfluß auf das
große Publikuni, das überhaupt keinen andern Maßstab seines
Urtheils für Cornelius erhalten hat als diese Vorhölle, war
sein zweites Auftreten. Es war einer der Tage des höchsten
Glanzes der eben zu Ende gegangenen achtjährigen Periode
unserer Geschichte gewesen. Ein prächtiges Hoffest war gefeiert,
lebende Bilder, Sccnen aus Taffo's befreitem Jerusalem waren
dabei mit allem Lurns, der für dergleichen nur beizubringe» ist,
zur Ausführung gebracht worden. Cornelius hatte die Entwürfe
zu diesen Bildern geliefert; die schönen Gesichter und cdcln
Gestalten, die prächtigen Stoffe, die frappante Beleuchtung hatten
eine magische Wirkung hervorgebracht. Aber das Fest war vor-
übergegangen und die augenblickliche Wirkung der Bilder war
verrauscht. Da erschienen die Kompositionen im Kupferstich,
einfache Umrisse, doch im sehr großen Maßstabe nnd mit größter
Sorgfalt und Eleganz heransgegeben, gestochen von Eichens;^
sie sollten also nicht bloß als Gelegenheitsarbeiten gelten, sie

‘ Vcrgl. über dasselbe das Kunstblatt vom Jahr 1811, Nr. 2—5.

2 Sechs Entwürfe zn Darstellungen aus Taffo's befreitem Jeru-
salem von P. v. Cornelius. Berlin, bei G. Reiincr, 1813
Groß Querfolio.
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