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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

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Die Eröffnung des neuen Museums in Weimar
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https://doi.org/10.11588/diglit.4914#0179
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178

strebung und Kunstbildung in dieser Stadt durch Ew. K.
Hoh. ausgedehnt worden ist, um so wichtiger ist diese erste
Aufgabe der Kunstsammlungen geworden.

^ Die Sammlungen und das Gebäude selbst, das sie um-
schließt, sollen aber auch in weiterem Kreise wirksam sein.
Schon Goethe'n erschien die Einheit der zusammenwirkenden
Kräfte, auch der handwerksmäßigen, als der Gipfel der Kunst,
und daher wollte er schon das Ziel verfolgt wissen, auch in
dem Handwerkerstande den Schönheitssinn zu er-
wecken und auszubilden. Seither ist dies Ziel haupt-
sächlich aus dem Wege der Verbreitung des Zeichnenunter-
richts zu verfolgen gestrebt worden. Bon nun aber soll
dasselbe durch die Aufschließung und Nutzbarmachuug der
vermehrten Sammlungen selbst mit ihren reichen plastischen
Formen und durch die eigens für diesen Zweck dazugefügte
Borbildersammlung für Kunstgewerbe umfassender
und intensiver gefördert werden; die Anstalt soll auch der
Geschmacksbildung des Handwerks dienen.

Und endlich soll das Haus eine Stätte der geistigen Er-
frischung, Erholung nnd Beredlung in weitestem Kreise wer-
den. „Kunst auf ihrem höchsten Gipfel, muthet alle Menschen
an!" Das waren die Worte des Dichters, dessen Marmor-
gestalt den Treppenaufgang ziert und die Eintretenden will-
kommen heißr. Sein Geist soll ste geleiten. Sie sollen von
den Mühen und Sorgen des Tags, von den Erregungen des
Augenblicks, von den Schmerzen des wirklichen Lebens em-
porgetragen werden iu das Reich des Jdealen, in die Gefilde
des ewig Schönen.

So möge denn das neue Haus mit Allem, was es birgt,
ein geweihtes sein! Es leite den Künstler auf seiner steilen
Bahn, es hebe den Handwerker zu gesteigerter Bildung empor;
und Allen, Allen, die cs betreten, sei es eine Onelle der
Erfrischung! Es sei ein neues, dankbar erkanntes, bleibendes
Denkmal der edlcn hochstnnigen Fürsorge, mit welcher Wei-
mars erhabenes Fürstenhaus, wie von Alters her, so in den
heutigen Tagen noch, edle Bildung zu wecken und zu ver-
breiten, aus Kleinem Großes empor zu ziehen, ein theures
Vermächtniß liebevoll zu Pflegen weiß! Es sei ein neues
würdiges Glied in der großen lebendigen Kette deutschen
Geisteslebens, deutscher Art und Kunst!

Das gebe Gott!"

Mit kurzen, wohl gewählten Worten, in denen er
hervorhob, wie er es als eine ihm überkommene Pflicht
seines Hauses betrachte, Künste und Wissenschaft mit
Sorgfalt zu Pflegen, übernahm der Großherzog den
Schlüssel, um ihn dem Direktor des Museums, vr. A. v.
Zahn einzuhändigen.

Die nun folgende Anrede des letzteren verband ebenso
wie die übrigen Reden den bei officicllen Ceremonien sehr
schätzbaren Vorzug der Kürze mit wohlthuender Wärme
des Ausdrucks und würdigem Gedankeninhalt. Sie gab
einen raschen Ueberblick über den Ursprnng der Weimari-
schen Kunstsammlung und wies auf die bedeutendsten
Kunstwerke hin, die das neue Museum birgt:

„Als Karl August und Goethe, von gemeinsamer warmer
Begeisterung für bildende Kunst bewegt, die Anfänge unseres
Museums in's Leben riefen, legte eine bedeutsame Fügung
gerade die Werke Carstens' in ihre Hände, jene unschein-
baren Zeichnungen, in denen wir jetzt den Grundstein der
Erneuerung deutscher Kunst bewundernd verehren.

Es waren die ersten Früchte des neuen schöpferischen
Geistes, welchem Winckelmann die Herrlichkeit der Antike ent-
schleiert, Lcssing die unverrückbaren Grenzen des Kunstschaffens
umschrieben, Goethe und Schiller eine neue Welt dichterischer
Jdeale, eröffnet hatten.

Nicht die Nachahmung antiker Formen, sondern bie tief-
innerliche Verwandtschaft mit der bildnerischen Kraft, der
hohen Einfalt und stillen Größe griechischer Knnst stellt uns
in Carstens' Schöpfungen den Beginn eines neuen Lebens vor
Augen. Darnni war es nicht ein Gegensatz, sondern die Er-
füllung seines Strebens, als der größte Meistcr deutscher
Knnst, Cornelius, den unerschöpflichen künstlerischen Gehalt

christlicher Heilswahrheiten in Gestalten von nie geahnter
Größe nnd Schönheit versinnlichte. Den einzig vollständigen
eigenhändigeu Entwurf der Berliner Friedhofshalle, dieses
ersten Werkes deutscher Malerei, unmittelbar neben die CarstenS
stellen zu dürfen, giebt unserem Museum einen Vorzug vor
allen Kunststätten, welche der dentschen Kunst der Gegenwart
ihre Räume öffnen.

Was nun könnte bedeutsamer neben diesen Denkmalen
stehen, als das lieblichste Bild echt dentscher Volksphantasie,
welches Schwind in seiner Märchcnerzählung geschaffen?
Und diesem zur Seite: das reifste und schönste Werk, das
sterbend Genelli hinterlassen, der Meister, welcher in unserer
Mitte als ein begeisterter Pricster griechischer Lebens- und
Formenschönheit wirkte und schnf?

So leitet uns in all seiner vielseitigen Fülle und Kraft
ein Geist deutscher Kunst zu der Halle, in welcher das nn-
sterbliche Gedicht Homer's vor unsere Augen tritt: zu neuem
Leben erweckt durch ein deutsches Künstlergemüth, welches dic
stumme Sprache landschaftlicher Natur dem Liede des alten
Sängers vereinigte zu einem herrlichen Einklang!

Jn diesem Sinne wird der Bau selbst, burchweht von dem
edeln Geiste des schönsten Wiederauflebens klassischer Archi-
tekturformen, zu einem Glieds in der Reihe dieser Schöpfungen
lebender deutscher Kunst, und der Baumeister hat noch Naum
gelassen für einen schönen Reichthum neuer Gaben, mit wel-
chem die frisch aufstrebende Kraft jüngerer Meister uns be-
schenken möge."

Nachdem vr. v. Zahn geschlossen, begann die Be-
sichtigung der inneren Räume des Gebäudes. Den
höchsten Herrschaften, welche unter Vorantritt des Di-
rektors eintraten, folgte in ungezwungener Weise die bunte
Menge der Anwesenden, die sich in den versckiedenen
Ränmen des Hauses vertheilte.

Nach einem Rundgang durch das erste Geschoß, wel-
ches eine Anzahl von Abgüssen nach Antiken und modernen
Skulpturen, auch das Originalmodell von Härtel's
Hermannsschlacht enthält, betrat der Zug die Loggia des
imposanten Treppenhauses, in welcher Steinhäuser's
Kolossalgruppe „Goethe und Pshche" den Mittelpunkt
bildet.

Der östliche Oberlichtsaal des zweiten Geschosses,
welcher sodann besichtigt wurde, birgt in einer Reihenfolge
von 30 Nummern die Zeichnungen vonCarstens, die Ent-
würfe zu den Fresken in der Friedhofshalle zu Berlin von
Cornelius, die Aquarellzeichnungen zu dem Märchen
von den Sieben Raben von Moritz von Schwind,
dessen Zeichnungen zur Legende von der heil. Elisabeth
ein Nebenzimmer schmücken, Kartons von Wislicenus
(Deukalionische Fluth) und Simon (Kohlenzeichnungen
zu Wieland's Oberon) und eine Reihe von Zeichnungen
B.Genelli's, darunter dessenletzte nnvollendeteArbeit:
„Bacchus unter den Seeränbern".

Von diesem Saale aus begab sich der Zug, nachdem
II. KK. HH. das in einem Nebenzimmer anfgestellte
lorbeerumkränzte tresfliche Porträt Preller's von I.
Marshall betrachtet, zur Prellergalerie, durch welche
der Meister selbst, auf's Freundlichste von ihnen beglück-
wünscht, die höchsten Herrschaften geleitete. Der Ein-
druck, den diese Galerie auf die darin Weilenden hervor-
bringt, ist ein unbeschreiblich wohlthuender und erhebender.
Schöne Raumverhältnisse, reiche aber nicht aufdringliche
 
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