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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 10.1875

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https://doi.org/10.11588/diglit.4970#0217
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423

Korresponden^

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des Publikums durch den „Salou" nicht hinreichend ^
befriedigt wird, und andererseils, daß es für die Kunst-
liebhaber neue Horizonte giebt, welche jetzt, da sie einmal
eröffnet wurden, nicht mehr einzuschränken oder gar zu
verdnnkeln sind. Man hat dem Publikum im Laufe
des vorigen Jahres in all' die Herrlichkeiten, welche in
den Palästen der Geburts- und Geldaristokratie, in
den Behausungen der Amateurs und der enragirten
Sammler aufgespeichert liegen, Einblick gestattet, und
man kann versichert sein, daß die allgemeine Neugierde
sich damit nicht zufrieden geben wird. Die Schätze der
Privatleute gehören diesen nicht mehr ganz; es erheben
sich gewichtige Stimmen dagegen, daß die Meister-
werke, welche theoretisch Gemeingut sein sollten, nur
einem beschränkten Kreise Eingeweihter zugänglich bleiben.
Wie doch die leidenschaftliche Liebhaberei zu allerhand
Theorien und staatsgefährlichen Prinzipien führen kann!
Mit der konsequenten Verfolgung dieser Ansicht brächte
man ein gutes Stück Sozialismus zu Wege! Glück-
licherweise fehlt es an Vorwänden nicht, um die etwas
gefährliche Tendenz dieser invasionslustigen Neugierde
in ein unverfängliches Gewand zu klciden.

Jch möchte diese Gelegenheit benutzen, um die
Kunstfreunde auf eine Sammlung hinzuweisen, von deren
Existenz bisher nur wenig verlautet hat. Ein zweites
Stockwerk in der Rue Richelieu beherbergt diese Schätze,
auf die mancher Direktor eines öffentlichen Museums
neidische Blicke zu.werfen berechtigt wäre. Der Be-
sitzer, ein Deutsch-Oesterreicher von Geburt, Herr Spitzer,
lebt seit langer Zeit in Paris und beschäftigt sich seit
30 Jahren mit der Sammlung dieser Kostbarkeiten.
Zu den reichsten Abtheilungen derselben gehören die
Sammlungen von Uhren, von italienischen und fran-
zösischen Emailarbeiten. Auch an Waffen, geschnitzten
Kästen, Truhen u. dergl. findet sich eine staunenswerthe
Menge. Von den Rüstungen haben einige bei ihrer
Ausstellung gerechtes Aufsehen gemacht. Jch erwähne
schließlich noch die zahlreichen Arbeiten in Elfenbein.

Jm Hotel Drouot gab es, neben den Sammlungen
oder Theilen von Sammluugen, wclche dort fortwährend,
meistens nach dem Tode ihrer Besitzer, unter den Ham-
mer kommen, zur Abwechselung einmal eine Auktion, die
durch keine außerordentlichen Geldbedürfnisse, auch nicht
in Folge eines Todesfalles oder aus Spekulationsgründen
hervorgerufen wurde. Es war dies der Verkauf einer
Anzahl von Gemälden, Radirungen und Federzeichnungen
des Malers L. Boulanger. Dieser Künstler gehört be-
kanntlich zu denjenigen, welche die romantische Bewegung
von 1830 auf der Leinwand sekundiren wollten. Er mar-
schirte hinter BiktorHugo und seinem Anhang in gemessenem
Tempo einher, etwa wie der Rekrut hinter dem Korporal.
Er entlehnte auch die meisten seiner Stoffe der romantischen
Poesie. Nicht die modernen sind es allein, die ihn zu

iuspiriren vermögen; er schöpft seine Stoffe auch
Dante und Shakspeare. „Romeo und Julia auf deru
Balkon", „Macbeth" waren seine Erstlingswerke. Die
Dichtungen Hugo's: „1.68 ravon» et Iss ombrss",
ksuillsL ä'uutoinns" wirkten ebenfalls auf ihn, und
man verdankt diesem geistigen Verständnisse zwische"
dem Poeten und dem Maler treffliche Jllustrationen im
großen Stil. Unter den im Hotel des Ventes ver-
kauften Bildern finden wir z. B. „Im ün än oisl,
die Zerstörung einer phantastisch dargestellten Stadt-
Das Feuer züngelt nicht nur an den Wänden und
Dächern dieser Stadt empor, es mußte auch gewaltig
in den Adern des Malers lodern, als er, von den Bersen
seines Lieblingsdichters trunken, selbst die Steinmasst
entzünden wollte. Hier kommt Lie ganze Ueppigkeit
der romantischen Phantasie zur Geltung; das Roth
herrscht überall vor, so sehr, daß, wenn man von deM
richtigen optischen Standpunkte, der zum Genusse dieses
Bildes vorgeschrieben scheint, auch nur um ein Paar
Schritte abweicht, die ganze Jllusion zerrinnt und man
nur eine unförmliche rothe Masse vor sich sieht. Ge-
lingt es aber, den richtigen Standpunkt einzunehmen,
so kann man nicht umhin, wenn man auch die mitunter
brutale Methode der romantischen Schule nicht billigt,
die Lebendigkeit zu bewundern, mit welcher die gewaltige
Scenerie dargestellt ist. Männer in wallenden Gewän-
dern, Weiber mit aufgelösten Haaren rennen wirr durch-
einander, während aus dem Stalle entsprungene Pferde
dahinrasen, während Alles ringsherum einstürzt, zu-
sammenbricht und über den Horizont stch eine unheim-
liche Röthe ausbreitet, die klar anzeigt, daß die Kata-
strophe an Umfang gewinnt.

Zur Zeit, als Boulanger seine Gemälde auszu-
stellen begann, war man über seine Kühnheit entrüstet.
Man fand es unschicklich, so derb den Pinsel zu führen
und so verschwenderisch mit den Farben umzugehen-
Nun, die Nerven des Publikums haben sich seitdem ge-
waltig gestärkt. Die Realisten haben die Romantiker
in der Malerei sowie auf der Bühne um gar Vieles
übertroffen. Nachdem man die Blutlache in Regnault's
„Hinrichtung in Granada" genossen, ohne dabei in Ohn-
macht zu fallen, kann man ruhig die Kühnheiteu Bou-
langer's hinnehmen.

Neben der historischen und poetischen Malerei (mit
Vorliebe wählte Boulanger Stoffe mit mittelalterlichem
Kostüme) verlegte sich der Meister auch auf die Porträt-
malerei. Jn dieser Hinsicht leistete er Großes, und man
darf behaupten, daß es seine Porträts gewesen sind, Lie
am meisten dazu beigetragen haben, das Eis, welches
zwischen ihm und der Gunst des Publikums lag, zu
brechen. Boulanger war mit den Trägern der lite-
rarischen Revolution intim bekannt; neben seiner Freund-
schaft hegte er für dieselben eine große Bewunderung;
 
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