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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1922/​1923 (Oktober-März)

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Nr. 13/14
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Literatur / Nekrologe / Personalien / Sammlungen / Institute / Ausstellungen / Forschungen / Ausgrabungen / Funde / Öffentliche Kunstpflege / Vereine / Stiftungen / Verschiedenes
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244

Literatur

LITERATUR
W. F. V o 1 b a ch , Mittelalterliche
Elfenbeinarbeitten. Orbis pictus,
Weltkunff»Bücherei (Bd.l 1),Heraus»
gegeben von Paul Weltheim, L — 6. Tauf.,
Verlag Ernlt Wasmuth A. G., Berlin.
Das vorliegende Büchlein des orbis pictus
bezweckt eine Entwicklungsgefchichte früh»
mittelalterlicher Elfenbeinplaltik unter mög»
lieh fter Berücksichtigung der einfchneidendlten
Stilwandlungen und ihresZufammenhanges
mit der Kultur der Antike und des Mittel»
alters zu geben. Klarbeit der Dispofition,
Streben nach umfallendlter Behandlung des
Themas, eine eindringliche, fiießendeSchreib®
weife feien als hauptsächliche Vorzüge der
Einführung hervorgehoben.
Der Wandel der künftlerifdien Auf»
faflung des Mittelalters erklärt lieh dem
Verfallet folgerichtig aus der Überwindung
der materialiftifchen antiken Weltanfchau»
ung durch das Chriftentum. Nach einem
Hinweis auf das Aufgeben der plaßifchen
Raumdarftellung als das Wefentliche der
neuen künltlerifchen Gefinnung (vgl. A.
Riegel, Spätrömifche Kunltindultrie) wird
auf die Gegenltände der Elfenbeinkunft
näher eingegangen. Folgt ein Verfuch,
Einzelheiten der Stilbildung aus Technik
und Material zu erklären. Den Abfchluß
und zugleich den wichtiglten Teil der Ein»
führung bildet die Befchreibung desWerde»
ganges der Elfenbeinfkulptur vom Aus»
gang der Antike bis ins 13. Jahrhundert
unter (wenn auch des befchränkten Rau»
mes halber fehl’ allgemein gehaltener) Be»
rückfichtigung der gleichzeitigen geiftigen
Strömungen. Dabei ilt allerdings die
Schilderung der einzelnen Schulen (auf
deren Detallierung der Verfaßet der Raum»
knappheit wegen lieber hätte verzichten
follen), allzu dürftig ausgefallen, als daß
der Laie von ihnen durchwegs ein deut»
lieh umrillenes Bild empfangen könnte.
Die Vergleiche zwifchen antiker und
mittelalterlicher Kunlt offenbaren Unklarheit
betreffs der Wefenseigentümlichkeiten der
Antike. Gleich zu Eingang verlteigt fich
VolbachzuderÄußerung, ihreKunltfei »eine
Kunlt höchlter Subjektivität« (S. 3). Nicht
minder überrafchend wirkt die Behauptung,
daß »die Darltellung eines Augenblicksge»
ichehens im Wefen der antiken Kunlt lag«

(S. 8). Und wenn auch die Gegenüber»
Itellung der »Tafel mit den Frauen am
Grab der Sammlung Trivulzio« und des
Bacchusreliefs der Aachener Kanzel (S. 9)
fehl’ feinfinnig durchgeführt ilt, fo ilt fie
doch (nach der Abficht die ihr zugrunde lag)
als verfehlt anzufehen. Denn was aus
letzterer Arbeit zu uns fpricht, ilt nicht,
wieVolbach glauben machen möchte, eine
Offenbarung mittelalterlichen Geiltes, fon»
dern das unter der antiken Hülle zum
Vorfchein kommende Antlitz eines durch»
aus anders gearteten, der Antike wefens»
fremd gegenüberltehenden orientalifchen
Volksltammes.
Bei der Beftimmung der Entltehungs»
zeit fpätantiker Arbeiten neigt der Ver»
faßet dazu, fie allzu früh anzunehmen.
Die Verlegung des Diptychons Trivulzi
ans Ende des 4. Jahrhunderts möchte ich
mit Rückficht auf feine Beziehungen zu
einzelnen Reliefs der Türe von S. Sabina
(zugunlten der gebräuchlicheren Anfetzung
in die 1. Hälfte des 5. Jahrhunderts) ab»
lehnen. Ebenfo die reichlich frühe Da»
tierung der den Nilchenfiguren der Maxi»
mianskathedra formverwandten Tafel mit
dem Erzengel Michael. (London, British
Mufeum) um 400. An den Reliefs der
Aachener Kanzel lieht die vorgelchrittene
Erltarrung antiken Formgefühls ihrer An»
fetzung vor das 6. Jahrhundert im Weg.
Die Zufammenltellung der von dem fehl’
rührigen Verlag E. Wasmuth multergültig
reproduzierten Photos ilt im allgemeinen
als gelungen zu bezeichnen. Laufen auch
fchwächere Arbeiten mit unter, fo find doch
die einzelnen Reliefs mit Rücklicht auf die
Klarlegung der Entwicklung der mittel»
alterlichen Elfenbeinkunft (und dies ilt Ja
der Endzweck des Buches) vortreff lich aus»
gewählt. Manche (und gerade künftlerifch
fehl’ wertvolle) Stücke waren bisher nur
unvollkommen publiziert worden (wie etwa
der Bacchus der Aachener Kanzel) oder
fie bargen fich in der Allgemeinheit weniger
zugänglichen Veröffentlichungen. Was wir
da bisweilen an Linienanmut und Aus»
druckskraft erleben, gehört zu dem Ein»
druckvolllten, was uns die Kunlt des frühen
Mittelalters belchert hat.
S. Pogfagen*NeuivalT

 
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