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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 5.1894

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Falke, Otto von: Zur Entwicklungsgeschichte des muhammedanischen Ornaments
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170 ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES MUHAMMEDANISCHEN ORNAMENTES.

nehmen, ist diese keineswegs erschöpft. Neben
ihnen, vielfach mit ihnen verbunden, finden sich
ornamentale Formen, die bestimmten Völkern und
bestimmten Perioden eigentümlich sind.

Es ist von hoher Wichtigkeit, diese Kennzeichen
selbständiger Richtungen im Islam und den Zeit-
punkt ihres Auftretens mit Hilfe der datirbaren
Denkmäler festzustellen, auch wenn das Ergebnis
noch ein lückenhaftes bleibt. Nur auf diesem Wege
wird sich in das Dunkel, das bisher die Geschichte
des muhammedanischen Kunstgewerbes umhüllt,"eini-
germaßen Licht und Ordnung brin-
gen lassen.

Aus einer breiten Übersicht des
einschlägigen Denkmälervorrates,
welche die lokalenÜbergangsformen
unbeachtet lässt und Hypothesen
Über die noch unbekannten Par-
tieen vermeidet, ergeben sich vor-
erst zwei große nationale Rich-
tungen in der islamitischen Kunst,
die zugleich ihre zwei Hauptperi-
oden bezeichnen.

In der ersten, die ungefähr die
Zeit des Mittelalters umfasst, steht
die eigentlich arabische oder besser
gesagt die westsarazenische Kunst
im Vordergrunde. Die orientalischen
Schriftsteller des Mittelalters ent-
halten zahlreiche und überschwäng-
liche Berichte über die Blüte des
Kunstgewerbes in Mesopotamien,
Syrien, Ägypten und Spanien; über
die Zustände in Vorderasien da-
gegen sind die Nachrichten dieser
Zeit überaus spärlich. Der Eindruck
der Vorherrschaft der westsaraze-
nischen Kunst wird verstärkt durch
den Umstand, dass fast alle mittelalterlichen kunst-
gewerblichen Gegenstände, deren Herkunft bestimmt
werden kann, sich als westsarazenische Arbeit er-
weisen.

In der zweiten Periode, der Neuzeit, tritt Vor-
derasien an die Stelle der westlichen Hälfte des is-
lamitischen Kulturgebietes; seit dem 16. Jahrhundert
geht die Führung in der orientalischen Kunst von
den Arabern auf die Perser, Inder und Türken
üb«-.

Die Trennung zwischen der westsarazenischen
und der vorderasiatischen Kunstrichtung ist keines-
wegs eine plötzliche. Sie wird äußerlich markirt

einerseits durch die Vertreibung der Muhammedaner
aus Spanien im 15. Jahrhundert und die Eroberung
Ägyptens und Syriens durch die Osmanen im An-
fang des 16. Jahrhunderts, andererseits durch das
gleichzeitige Aufstreben der drei selbständigen Reiche
der Osmanen, der Perser unter der Dynastie der
Sefeviden und der Inder unter den Großmoguln.
Die Anfange künstlerischer Eigenart auf persischem
und indischem Boden reichen zwar weit über diese
Zeit der deutlichen Scheidung zurück. Aber während
des Mittelalters griff der Levantehandel wenig über
das westsarazenische Gebiet hinaus,
stand die arabische Kunst noch in
so hellem Glänze ihrer Blüte da,
dass die nationalen Abweichungen
im Osten überstrahlt wurden und
unbemerkt blieben.

Im 16. Jahrhundert brachte die
Festigung der politischen Macht-
stellung in den drei neuen Reichen
Vorderasiens eine Neublüte der im
Westen verfallenden muhammedani-
schen Kunst mit sich. Durch das
Übergreifen der Türken auf euro-
päischen Boden und durch die An-
knüpfung direkter Handelsverbin-
dungen mit Persien und Indien von
Seiten der Portugiesen und Holländer
wurden die Länder des Ostens für
Europa aufgeschlossen. Die groß-
artigen Bauten der Türken, Perser
und Inder aus der Zeit vom 16.
Jahrhundert an sind zum großen
Teil noch erhalten und die Erzeug-
nisse ihrer Kunstindustrie gelangten

Abb. 2. Türkiscbe Fayencefliese mit per-
sischem Bankemverk.

in wachsender Menge nach dem

Abendland. Deshalb treten von da
an erst die nationalen Kunstformen
der Perser, Inder und Türken deutlich in die Er-
scheinung.

Für das Studium der nationalen Verschieden-
heiten lässt unter diesen Umständen das mittelalter-
liche Denkmälermaterial keine Resultate erwarten,
es giebt nur ein Bild der arabischen oder westsara-
zenischen Flächendekoration. Diese aber ist das Ge-
meingut aller muhammedanischen Völker geworden;
die gleichmäßige Verwendung der von den Arabern
ausgebildeten Ornamentformen im Osten wie im
Westen ist es eben, die der ganzen orientalischen
Kunst den Stempel der Gleichartigkeit aufgedrückt
und die Unterschiede verwischt hat.
 
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