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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Leitschuh, Franz Friedrich: Die Kunstgewerbeschule in Straßburg (Elsass)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0074

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DIE KUNSTGEWERBESCHULE IN STRASSBURG (ELSASS).

ten Zweck: einerseits junge Leute, die sich dem
Kunsthandwerk zuwenden wollen, in mehrjährigen
Kursen zu ihrem Berufe heranzubilden und anderer-
seits gewerbliche Arbeiter mittels Abendkurse und
praktischer Arbeit unter bewährter Leitung in ihrem
speziellen Fache zu vervollkommnen.

An der Schule besteht auch eine fleißig frequen-
tirte Damenabteilung, in der ebenfalls nach der
Natur gezeichnet, gemalt und modellirt wird. Diese
Abteilung hat nun eine erhöhte Bedeutung insofern
gewonnen, als die Bestimmung durch den Statt-
halter getroffen worden ist, dass alljährlich auch in
Elsass-Lothringen eine Prüfung für Zeichenlehre-
rinnen abgehalten wird. Die meisten der Kandida-
tinnen erhalten ihre künstlerische Vorbildung zu
dieser Prüfung an der Kunstgewerbeschule.

Die alljährlich wiederkehrenden Ausstellungen
von Schülerarbeiten aus sämtlichen Abteilungen er-
bringen den erfreulichen Beweis, dass die Methode,
die Seder einführte, von allen, die an der Schule
lehren und lernen, mit Verständnis und Begeisterung
erfasst und gepflegt wird; alle Arbeiten sind durch-
drungen von dem lebenskräftigen Einfiuss der Schule,
deren hohe Bedeutung für das Elsass heute außer
Zweifel steht.

Die Straßburger Kunstgewerbeschule tritt uns
in ihren Leistungen schon heute, nach den wenigen
Jahren ihres Bestehens, als eine kraftvoll gereifte
Anstalt entgegen, emporgewachsen aus denselben
Wurzeln unserer nationalen künstlerischen Bildung,
die uns längst an das Elsass knüpfen. Ein Erb-

stück der alten Kunstübung ist vor allem der Sinn
für Formenschönheit, der neu auflebte, seit wir den
Anschluss an die Natur, die große, ewig jugend-
liche Lehrmeisterin wiedergefunden haben. Aber
dieses innige Anschließen schließt nicht aus, dass
wir von den alten, ehrwürdigen Vorbildern, den
Werken unserer Vorfahren, lernen; denn gerade die
köstlichsten Schöpfungen der Alten tragen am deut-
lichsten das Gepräge hingebenden Studiums der Natur.
Von Kleingläubigen und Engherzigen wurde
allerdings die junge Schule mit manchem Warnungs-
rufe bedacht, aber sie konnte sich nicht dazu ver-
stehen, umzukehren, um in ausgetretenen Geleisen
weiter zu wandeln. Das Bewusstsein, dass eine reine
Freude am Schaffen und ein mächtiger Trieb zum
Weiterstreben den Schüler erfüllt, der an den un-
vergänglichen Vorbildern der Natur seinen Geschmack
gebildet und geläutert und gleichzeitig die manuelle
und technische Fertigkeit erlernt, geübt und vervoll-
kommnet hat, dieses Bewusstsein ist schon zu tief
in das moderne Geistesleben eingedrungen, als dass
eine moderne Schule auf diese Grundlage frischen,
begeisterten Wirkens verzichten könnte. Denn erst
dann erfüllt eine Kunstgewerbeschule wahrhaft ihren
Beruf, wenn sie es auch vermag, in den jungen
Herzen die Sehnsucht nach dem „Idealen" zu ent-
flammen. Und gerade im Hinblick auf die ernste,
ideale Richtung der Straßburger Schule und ihre
Gegnerschaft mit ihren jämmerlicheu Klagen ge-
winnt Goethe's kräftiges Wahrwort für uns doppelte
Bedeutung:

„Wär't ihr Schwärmer im stände, die Ideale zu fassen,
0 so verehrtet ihr auch, wie sich's gebührt, die Natur!"

Schlussvignette; gezeichnet von B. Möhrinq.
 
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